Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 26. Juni.

Der amerikanische General Pershing ist bei seiner Landung in Boulogne von dem französischen General Dumas mit folgenden Worten begrüßt worden:

«Ein neuer Abschnitt hebt an in der Geschichte der Welt. Die Vereinigten Staaten von Amerika verbinden sich mit den Vereinigten Staaten von Europa. Sie werden die solidarischen Vereinigten Staaten der Welt bilden, die dem Krieg endgültig den Garaus machen, die uns durch die Gesellschaft der Nationen einen fruchtbaren, harmonischen und dauernden Frieden geben werden. Im Namen der Menschheit seien Sie uns willkommen, General.»

Das klingt doch, leider, so ganz anders als die in die Zukunft weisenden Worte des preußischen Kriegsministers v. Stein(sieh meine Eintragung vom 7. Mai d. J.):

«Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, dass mit Beendigung dieses Kriegs ein ewiger Völkerfrieden eintreten wird. Solange wir Menschen bleiben mit allen unseren Schwächen, mit allen dunklen Seiten, so lange die Interessen einzelner und vieler gegeneinander laufen, wird es Krieg geben.»

Aus den Worten des französischen Generals spricht jene Gesinnung, die der Reichskanzler als «Völkerverbrüderungsideologie» ironisierte und deren Bekämpfung vor dem Krieg er den Alldeutschen noch 1915 als ein Verdienst anrechnete.

Unsere Staatsmänner haben nun einmal den großen Fehler gemacht, die Werbekraft der großen Idee der Staatenvergesellschaftung ihren Gegnern zu überlassen. Sie beschränken sich auf das Teilproblem «Mitteleuropa», von dem Harden («Zukunft» Nr. 38, S. 305) sagt, dass darauf «besser als auf das Streben in ewigen Frieden Moltkes Wort passt: Ein Traum und nicht einmal ein schöner!» Sie sehen noch immer nicht ein, dass es eigentlich ihr Widerstand ist, der diese Gesellschaft der Nationen gezeitigt hat und immer noch festigt. Sie machten Deutschland und Österreich-Ungarn zum Kern des neuen Gebildes, das durch die Reibung mit diesem Kern wächst und gedeiht.

Wir Angehörigen der mitteleuropäischen Staaten wollen aber durch diese Fehler unserer Staatsmänner nicht ausgeschlossen sein von dieser Vereinigung der Menschheit und von der neuen Kultur, die durch sie gezeitigt werden wird. Wir wollen nicht, dass durch die Fehler unserer Militärs und der in ihrem Schlepptau befindlichen Staatsmänner unsere Menschheit von dem neuen Aufbau der Menschheitsorganisation und Menschheitsinternationale ausgeschlossen erscheint und uns dafür der süße Trost bleibt, Maschinen und Gewebe nach Sofia oder Aleppo konkurrenzlos verkaufen zu dürfen. Mögen die Türken ihre Hosenstoffe beziehen von wo sie wollen, sie damit bevorzugterweise bedienen zu dürfen, mag alldeutscher Idealismus sein, deutscher Idealismus kann damit nicht befriedigt werden.

Am 30. April sprach ich hier davon, wie aus einer Rede Lloyd Georges der Gedanke eines vierten Kriegswinters leise auftauchte. «Noch als Irrsinn betrachtet.» Heute gewinnt dieser Gedanke schon Gestalt. Der Abg. Haussmann hat ihn im württembergischen Landtag ganz offen ausgesprochen. Man werde in Deutschland gut tun, sagte er, sich rechtzeitig mit dem Gedanken eines neuen Winterfeldzugs vertraut zu machen. Weiß man, was das heißt? Das heißt, dass der verschärfte Unterseebootkrieg ein Trugschluss war, der uns Amerika zum Feind machte und so den Krieg verlängerte. Wenn der Reichskanzler den Unterseeboot-Enthusiasten Widerstand geleistet hätte, dann wäre Wilson im März nach der russischen Revolution der Friedensbringer geworden. Ohne Unterseebootkrieg hätte das deutsche Volk schon längst Frieden. Dass wir ihn noch nicht haben, ihn nicht einmal sehen, danken wir den Alldeutschen.