Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 7. Januar.

Die Entschlossenheit, in der Antwort der Entente eine Ablehnung des Friedens zu sehen, wird mit folgerichtigem Ernst fortgeführt. Nun hat der Kaiser selbst in einem Erlass an Heer und Marine verkündet:

«Die Feinde haben meinen Vorschlag abgelehnt. Ihr Machthunger will Deutschland vernichten. Der Krieg nimmt seinen Fortgang.»

Die Alldeutschen und ihre Gesinnungsgenossen fangen wieder an, sich zu fühlen. Sie laufen Sturm gegen den Reichskanzler, dem sie die Antwort der Entente als Niederlage anrechnen. Auch die sogenannte «fortschrittliche Volkspartei» (lucus a non lucendo) zeigt sich wieder in ihrer alten chauvinistischen Pracht auf dem grossberliner Parteitag, der dieser Tage stattgefunden hat. Dr. Wiemer hielt eine Rede, in der er voll Entrüstung die Antwortnote als eine Ablehnung darstellt und sich gekränkt zeigt, weil diese Antwort keine jubelnde Zustimmung enthält. Hingegen sprach er das verhängnisvolle Wort:

«Es entspricht unsrer Würde nicht, nach Deutungen zu suchen, die etwa noch der Hoffnung Raum lassen, dass die Tür nicht völlig zugeschlagen ist.»

Würdelos ist nach Ansicht dieses Volksmanns die Möglichkeit, das Ende beschleunigen zu wollen, und würdevoll die Gelassenheit, mit der dem infernalischen Gemetzel des geplanten Frühjahrszusammenpralls entgegengesehen wird. Wahrhaftig, angesichts dessen, was jetzt am Spiel steht, die gekränkte Leberwurst zu spielen, — ja, angesichtes dessen, was in diesen 21/2 Jahren an Wahnsinn erlebt wurde, — ist das Unerhörteste, das einem Volk geboten werden kann. Das Volk will das Brot des Friedens und der Redner der fortschrittlichen Volkspartei gibt ihm die Steine seiner Feinfühligkeit, die einer Komtesse des Rokoko würdig wären.

Und dieser Freisinn beharrt weiter auf einer «Freigabe» Belgiens, bei der es «politisch, militärisch und wirtschaftlich» in deutscher Hand bleiben soll. In der am Schluss gefassten Resolution sprach sich der Parteitag für einen Frieden aus,

«der das Reich durch militärische und wirtschaftliche Massnahmen wie durch notwendige Gebietserweiterungen für die Zukunft sichert.»

Also auch von den Freisinnigen wird ein Friede gefordert, der auf Gewalt beruht. Wie weltenfern sind jene Leute von dem pazifistischen Friedensbegriff.

Es ist Zeit, dass ausgeräumt wird mit diesem unhaltbaren Parteienspiel. Eine pazifistische Partei muss sich bilden. Das Problem des Daürfriedens muss seine parteibildende Kraft zeigen. Es hat sie.

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Die Nachricht, dass Liebknecht im Zuchthaus zu Luckau mit Schuhmacherei beschäftigt und als gemeiner Verbrecher behandelt wird, geht nun auch in ausländische Blätter über, wo sie mit Behagen abgedruckt wird. Sie ist allerdings angetan, das Gewissen aller fortschrittlich gesinnten Menschen auf das stärkste zu bedrücken. Der Gedanke ist unerträglich, dass ein Mann, der — wenn auch in unzulässiger Weise — für die höchsten idealen Güter der Menschheit eingetreten ist, der wirklich das Gute wollte, wie ein gemeiner Verbrecher behandelt wird und daher den furchtbarsten Qualen ausgesetzt ist.

Durch die Intervention neutraler Staatsoberhäupter haben während dieses Kriegs die Regierungen in vielen Fällen Gnade gegen Angehörige fremder Staaten walten lassen. Sollte es nicht möglich sein, eine diskrete (nicht lärmende) Bewegung einzuleiten, damit ein europäisches Staatsoberhaupt oder der Papst oder der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bei der deutschen Regierung die Begnadigung des mutigen Friedenskämpfers erwirke. Deutschland denkt heute mit Scham an seine Zuchthäusler Kinkel, Fröbel, Reuter und soviele andere, warum sollte es die Liste dieser Irrtümer noch vergrössern wollen. Die Befreiung Liebknechts vom Zuchthauszwang wäre eine Geste, die das Volk befriedigen und dem Land Sympathien der Welt einbringen würde.