Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Zürich, 29. August.

Drei weitere Kriegserklärungen!

Italien an Deutschland, Rumänien an Österreich-Ungarn, Deutschland an Rumänien. Fortzeugend Böses. Sind das neue Handlungen? — Nein, es ist die fortgesetzte Handlung, die im Juli 1914 ihren Anfang genommen, es ist das Gesetz der schiefen Ebene, das hier in Erscheinung tritt.

Vielleicht war Bismarcks politischer Lehrsatz «Wir Deutsche fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt» doch ein grosser Fehler. Unsere Diplomaten haben dadurch die Dinge doch etwas zu leicht genommen, und haben sich zu sehr auf den lieben Gott verlassen. Sie haben auch Bismarck gar zu einseitig aufgefasst. Sein ehernes Wort über den Präventivkrieg haben sie nicht beachtet, und ein alldeutsches Blatt hat es sogar als ein Produkt des senil gewordenen Kanzlers bezeichnet. Und doch enthält es goldene Wahrheit: «Man weiss, wo ein Krieg anfängt, aber man kann nie wissen, wo er aufhört». So oder ähnlich lautet dieses Wort. Wenn man jetzt sieht wie im 26. Monat des Weltkriegs noch immer neue Staaten sich gegen Deutschland anschliessen, muss einem die hohe Weisheit dieses Bismarckworts erst recht zu Bewusstsein kommen.

Fürst Bülow sucht in seinem Buch «Deutsche Politik» England in seiner ganzen Schlechtigkeit

darzustellen und zu zeigen, wie sehr es im Lau! der Geschichte bemüht war, jeden einzelnen Staat Europas zu schädigen. (So z. B. S. 27.) Ich legte mir bei der Lektüre des Buchs die Frage vor, wieso angesichts dieser offensichtigen Schlechtigkeit und Falschheit, es doch so kam, dass heute die meisten und mächtigsten Staaten Europas nicht auf Seite Deutschlands, sondern auf Seite Englands zu finden sind. Diese Frage sollte sich auch das deutsche Volk und vor allem die verantwortlichen Staatsmänner vorlegen. Wenn auch jetzt nichts mehr an den Ereignissen zu ändern ist, für die Zukunft müssen solche Erwägungen von höchstem Wert sein.

Die neuen Kriegserklärungen sollten jedenfalls Anlass zu besonnener Einkehr geben und nicht mit dem traditionellen kriegerischen Elan begrüsst werden. Das antike Wort «um so besser, dann werden wir im Schatten fechten», mag für Schulaufsätze ein schönes Thema bilden, für die Politik ist es gefährlich, sich damit zu bescheiden.

Die Mehrung der Feinde zeigt, dass das Unternehmen, das nun seit zwei Jahren betrieben wird, auf einer schiefen Basis ruht. Es mag vom militärischen Gesichtspunkt kühn und edel sein, sich davon nicht berühren zu lassen. «Viel Feind, viel Ehr» heisst es da wohl. Aber der Weg zum Ruin ist mit schönen Sprichwörtern gepflastert. Hier hat der Staatsmann das Wort, dem das Wohl des Volks Richtung gibt, und der nicht durch militärische Romantik beeinflusst ist. Er muss sich sagen: Viel Feind, geringer Erfolg. Der billige Friede ist der beste, namentlich wenn nach zwei Jahren ein rascher und reicher Friede nicht zu erreichen war.