Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 19. April.

In München ist vor einigen Tagen eine Dame auf offener Strasse verhaftet worden, weil sie nach Ansicht eines Schutzmannes zu auffallend gekleidet war. Eine kurz vorher erschienene, gegen die übertriebene Frauenmode gerichtete Polizeiverordnung gab dem Gesetzeswächter die Ermächtigung. Der Fall erregte natürlich Aufsehen.

Jetzt erlässt das stellvertretende Generalkommando des 11. Armeekorps in Kassel zwei Kundgebungen gegen die sogenannten Verirrungen der Mode. Es wendet sich gegen das «alte Übel weiblicher Putz- und Gefallsucht», das aber seit dem bekannten Vorfall im Paradies oftmals vergeblich auszurotten versucht worden ist. Das Generalkommando hätte diesen Feldzug nicht unternehmen sollen. Zunächst weil es ihn mit grosser Wahrscheinlichkeit verlieren wird. Der Krieg ist kein Naturgesetz, wie die Kriegsverteidiger irrigerweise behaupten, wohl aber beruht die «weibliche Putz-und Gefallsucht» auf einem Naturgesetz. Ihre Ausschreitungen lassen sich nicht ausrotten, weil das Wesen der Mode darin liegt, im Wettbewerb aufzufallen. Die Mode ist eine soziale Erscheinung, die bereits wissenschaftlich ergründet wurde. Davon scheint das Generalkommando des XI. Armeekorps nichts zu wissen. Sonst hätte es den Wechsel der Mode nicht für «sinnlos» erklärt. «Volkswirtschaftlich schädlich», so heisst es in jenem Erlass, «wirkt allein der jahraus, jahrein unvermittelt plötzliche Wechsel der ,Mode', der den Einzelnen geradezu zwingt, immer neue Kleider anzuschaffen, und alte, die noch ganz gut brauchbar sein könnten, als wertlos wegzuwerfen». Das sind Ansichten, die nicht neu sind, und die man oft bei Frauen antrifft, die einfach nicht «mitkönnen» und dabei vor Neid platzen. Das ist die Gutgesinntheit aus dem öffentlichen Leben ins häusliche übertragen. Da wie dort gerade keine erfreuliche Erscheinung. Niemand geringerer als Ihering hat den Wechsel, der der Mode anhaftet, dahin erklärt, dass die Mode ein soziales Erkennungszeichen ist. Was das Feldgeschrei und die Parole für den Soldaten, ist nach ihm die Mode für die Gesellschaft. Da die Mode rasch verraten wird, und viele in die Lage kommen, gesellschaftlich unter falscher Flagge zu fahren, so wehrt sich die Gesellschaft durch häufigen Wechsel. So etwas kann bedauert werden, lässt sich aber nicht verbieten.

Auch ist dieser Erlass zu beklagen, weil er zu sehr in das rein Persönliche eingreift, und im Ausland ein gar schreckliches Urteil über die Freiheit in Deutschland aufkommen lassen wird. In der Tat erinnern derartige Vorschriften an die Kleiderverordnungen im Mittelalter.

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Graf Reventlow hat in Hamburg am 10. April einen Vortrag gehalten über «Deutschlands Seegeltung und Mitteleuropa». Darin sagte er nach den «Hamburger Nachrichten» u.a. Folgendes:

«Wir wollen niemand vergewaltigen. Wir wollen nur Sicherheit für die Zukunft des deutschen Volkes haben. Wir wollen daher keinen Kompromissfrieden. Ein solcher ist für uns ein fauler Friede. Ein Friede, den wir brauchen, darf nur von rein deutschen Gesichtspunkten geschlossen werden. Und wenn wir nicht einen Frieden schliessen, durch den wir etwas Grosses, besonders etwas Wichtiges von der See gewonnen haben, so wird Deutschland seine Weltmachtstellung nicht mehr behaupten können. Hart müssen wir werden trotz aller Entbehrungen. Wir müssen durch. Und wenn wir aus dem sogenannten Friedensbedürfnis heraus Frieden schlössen, so wäre das eine Niederlage, die wir erlitten hätten. Und so müssen wir unsern leitenden Staatsmännern die Härte wünschen, wie wir sie bei Bismarck beobachtet haben. Weiche Staatsmänner können wir nicht gebrauchen. Sie dürfen sich nicht blenden lassen von der Wahnvorstellung eines Mitteleuropa, das wir sehr wohl behalten und ausgestalten mögen, das uns aber die Seegeltung nicht ersetzt. Die Seegeltung müssen wir haben gegen die Seestaaten. Wir wollen keinen faulen Frieden durch Mitteleuropa, sondern durch unsere eigne Kraft. Wir wollen ihn erkämpfen bis der Feind, wie Hindenburg sagt, sich unserm Willen fügt».

Wie der Graf es sich vorstellt, «etwas Wichtiges von der See zu gewinnen» und dabei niemand zu vergewaltigen, mag er mit seiner eigenen Logik ausmachen. Uns erscheint dieses Gerede im höchsten Grade gefährlich und als ein am deutschen Volk verübtes Verbrechen. Solche Menschen dürften nicht frei herumlaufen und aufreizende Reden halten. Hier wäre eine sorgende Schutzhaft am Platz. Wenn es schon nicht gelungen ist, die Reventlows vor dem Krieg unschädlich zu machen, wenn wir schon das durch sie hervorgerufene Blutbad über uns ergehen lassen mussten, so soll es doch möglich sein, sie im Interesse der Allgemeinheit während des Kriegs unschädlich zu machen. In Schutzhaft mit dem Wasser-Utopisten!