Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 14. Dezember.

Wilson ist gestern in Europa angekommen.

Die Ankunft dieses Amerikaners im Hafen von Brest könnte für die Menschheit jene Landung des Christoph Columbus an der amerikanischen Küste an Bedeutung überragen.

Für alle, die klar sehen und die es ehrlich meinen mit diesem heimgesuchten Geschlecht, hängt mit dem Erscheinen dieses Mannes alle Hoffnung zusammen. Man weiß, dass er allein die gute Absicht hegt, die Wege der Erlösung in Herz und Hirn vorgezeichnet trägt. Man zittert darüber, ob er die Macht besitzen wird, die Siegestrunkenen zu beeinflussen.

Wilson naht wie ein Heiliger, der nach dieser furchtbarsten Prüfung die Rettung bringen soll. Wird er gehört werden, oder wird auch er am Kreuz endigen?

Wie tragisch ist es doch, dass gerade Deutschland alle Hoffnungen auf diesen Mann setzt, den man dort früher verleumden, verdächtigen, beschmutzen durfte. Und jetzt ist er es, der dem deutschen Volk die Rettung bringen könnte. Das deutsche Volk, das den Pazifismus verlachte, erwartet mit vor Spannung stierem Blick den Mann, der die Heilslehre des Pazifismus vertritt, und in der Antwort auf die bange Frage, ob er die Siegenden überzeugen wird, liegt die Zukunft Deutschlands. Welche Wendung des Geschicks!

Der Ausblick ist trüb. Was bis jetzt von seiten der Entente an die Öffentlichkeit gelangt, lässt den die langen Kriegsjahre hindurch ersehnten Dauerfrieden nicht erwarten. Man will dort den kriegerischen Erfolg ausnützen durch Machterweiterung. Man will Land nehmen, will Völker zerreißen, ohne die Frage nach ihrem Willen zu stellen, will, dass die anderen abrüsten, die eigenen Rüstungen aber bleiben, will Entschädigungen, die die Zentralmächte vernichten müssen. Lloyd George sprach vorgestern von 500 Milliarden Mark, die man Deutschland auferlegen muss. Wenn diese Ideen Gestalt bekommen sollten, dann ist es für lange aus mit dem Traum von Völkerbund, mit der Hoffnung auf eine Ära ohne Kriege. Wenn diese Ideen Gestalt bekommen sollen, dann ist Wilsons Erlösungsprogramm abgelehnt und der Heilsbringer wird als ein Geschlagener nach Amerika zurückkehren. Niemals kann dieser Friede ein wirklicher Friede werden.