Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 7. Oktober.

Im «Berliner Tageblatt» (5. Oktober) veröffentlichte der frühere deutsche Botschafter in Rom, Graf Monts, unter dem Titel «Europa» einen Artikel, der von Anfang bis zum Ende voll pazifistischer Einsicht ist. Nach ihm ist der Krieg ein Verbrechen an der europäischen Kultur, nicht nur durch das gegen die Zentralmächte mobilisierte Asiatentum und die farbigen Kolonialarmeen, sondern auch durch die wirtschaftliche Erschöpfung, die Amerika zur Führung in der Welt bringt. Nach dem Grafen Monts scheint sich die Voraussage zu erfüllen, die ihm gegenüber kurz nach Ausbruch des Kriegs ein erfahrener deutscher Kaufmann geäussert hat, dass der Krieg unter allgemeiner finanzieller Erschöpfung enden und für Jahrzehnte den Wohlstand unseres Kontinents untergraben werde. Er rechnet uns vor, dass der Krieg über 300 Millionen Mark täglich verzehre, wovon der grösste Teil unwiederbringlich verloren ist. Durch das Darniederliegen von Handel und Wandel, durch die wirtschaftliche Brachlegung von 25 Millionen der kräftigsten Männer, die jetzt unter den Waffen stehen, durch die Einbusse an unersetzlichen Menschenleben, wie durch die ungeheuren Kosten, die notwendig sein werden, die vernichteten Waffen und Kriegsgeräte, das unbrauchbar gewordene Eisenbahnmaterial, die Schiffe, Häuser, Brücken zu ersetzen, die dauernden Auslagen für Invaliden-, Witwen-, und Waisenrenten-, für die Anleihenverzinsung und Valutenregulierung kommt man zu «geradezu phantastischen Ziffern», die allen kriegführenden Nationen «mögen sie zur siegenden oder unterliegenden Gruppe gehören», eine nach Milliarden zählende Neubelastung auferlegen werden. Graft Monts kritisiert den heute vielfach auftauchenden Trost, dass die Verluste unserer Feinde grösser sein werden als die unsern, und weist darauf hin, wie der Reichtum Deutschlands, das auf den Export seiner Arbeitsprodukte angewiesen ist, vom Reichtum und der Kaufkraft der andern Völker abhängig ist. «Das Erwerbsleben der europäischen Völker ist so ineinander verflochten, dass die Zahlungsunfähigkeit nur eines oder weniger Glieder alle andern aufs schwerste schädigt». — Solche Worte schneiden uns tief ins Herz hinein; denn sie enthalten für uns nichts Neues. Wir haben diese Aussichten eines europäischen Kriegs vorhergesagt und auf Grund unserer Erkenntnis ein anderes politisches System verlangt. Nicht nur in Deutschland. In allen Ländern Europas. Man hat nicht auf uns gehört, und viele, die heute die Richtigkeit unserer Lehre einsehen, hielten es früher unter ihrer Würde, sie mit ihrem Namen und mit ihrer Person zu unterstützen. Durch diese Unterlassung bekamen die Indianer Europas die Oberhand und die Gewalt, unsern Erdteil in den Wahnsinn dieses Krieges hineinzustürzen. Ein niemals wieder gutzumachendes Verbrechen wurde dadurch an der Menschheit begangen. — Das einzige, was jetzt übrig bleibt, ist, mit dem vollen Bewusstsein und dem aufs äusserste angespannten Willen, an die Wiederherstellung Europas heranzutreten mit der festen Absicht, dem Wahnsinn vom Grunde aus zu steuern, den Krieg als widersinnig und verbrecherisch abzuschaffen aus der Kulturgemeinschaft. Das Geschehene können wir nicht mehr ungeschehen machen. Aber der Zukunft können wir die Wiederholung dieses Wahnwitzes ersparen helfen, und das Leben der Gegenwart, das vor dem Krieg doch nur ein latenter Krieg war, können wir insofern zu einem vernünftigen gestalten, dass wir all das gefährliche nationale Kraftmeiertum, den Rüste- und Überrüste-Dusel mit Aufgebot aller Kräfte bekämpfen und mit dem Zorn der Schmerzaufgewühlten die Staatenordnung an Stelle der Anarchie zu setzen suchen. Weg mit allen Halben! Weg mit jenen gefährlichen Kompromisslern, die uns den Krieg als unausrottbares Naturgesetz vorgaukeln wollen und das grosse Übel der europäischen Menschheit mit den Schönheitspflästerchen der internationalen Liebenswürdigkeit zu verkleistern suchen werden, wie ehedem. Wir haben gesehen, wohin das geführt hat. Der Krieg ist ein mit Absicht und vollem Bewusstsein herbeigeführtes Verbrechen. Die ferner mit ihm rechnen sind Verbrecher. Dies muss der Leitsatz aller künftigen Friedensarbeit werden.