Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 9. Juli.

Es sieht so aus wie Höhepunktstimmung. Die große Sitzung der französischen Kammer vom 7., die bis drei Uhr morgens gedauert hat, und eine Reihe Geheimsitzungen abschloss, endete zwar mit einer erdrückenden Mehrheit zugunsten des von der Regierung vertretenen Durchhalteprinzips, bewies aber doch, dass eine große Gärung herrscht und die Sehnsucht nach Frieden tief im Volk sitzt. Im deutschen Reichstag gärt es nicht minder. Sehr heftig scheint es im Hauptausschuss am 7. zugegangen zu sein, wo Erzberger die Regierung heftig angriff und der Reichskanzler das Wort ergriff. Die Erregung in Berlin muss groß sein. Der Kaiser ist in Berlin und hat Hindenburg und Ludendorff zur Konferenz hinkommen lassen, auch hatte er mit dem Reichskanzler eine eineinhalbstündige Unterredung. Die nächsten Stunden dürften wichtige Dinge bringen. Das österreichische Abgeordnetenhaus hat einstimmig die Verfügung über die Ausnahmegerichtsbarkeit zu genehmigen abgelehnt und hat die Wiedereinsetzung der Schwurgerichte durchgesetzt. Ein Staatsrat von 24 Mitgliedern, dem auch Gelehrte angehören, die nicht im Parlament sitzen, soll zur Vorbereitung einer Verfassungsreform eingesetzt werden.

Der Fliegerwahnsinn wird weiter betrieben. Vorgestern flogen 84 französische Flieger über Westdeutschland bis nach Essen, ein großes deutsches Flugzeuggeschwader über England und London.

Die über alle Maßen blutige Offensive der Russen dauert fort und breitet sich aus, ohne irgendwie haltbare Ergebnisse zu zeigen.

Kurz, der Krieg ist in das Stadium getreten, das an die Nerven der Menschheit die höchsten Anforderungen stellt. Es geht sicher dem Abschluss zu, aber bis dieser erreicht wird, kann es noch so lange dauern, als es schon gedauert hat.