Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 19. Januar.

Die Freiheit der Meere ist eine der ersten Forderungen für die Deutschland kämpft. Und die Wiener Blätter legen die Eroberung des Lovcen als die Errichtung eines Gibraltars in der Adria aus. Die offiziöse «Wiener Allgemeine Zeitung» schrieb sogar, dass die ungehinderte Teilnahme der österr.-ungarischen Flotte an der Aktion gegen den Felsen von Cattaro beweise, dass die Adria «unser Meer» ist. Diese Besitzanzeige wird man nach dem Krieg natürlich durch neue millionenschwere Schiffe erhärten wollen. Wie reimt sich das zusammen «Freiheit der Meere» und «unser Meer»? — Wir wollen überhaupt keine neuen Gibraltars, sondern wollen die alten abschaffen.

Dieser Krieg wird aufräumen müssen mit den verschiedenen Schlagworten der Politik, zu denen in erster Linie die Idee von der Vorherrschaft einzelner Staaten in gewissen Meeren gehört. Die «Freiheit der Adria» ist an dem Tag gesichert, wo man sie von Kriegsschiffen aller Nationen gesäubert haben wird. Die Anschauungen über den Wert der Flotte dürften nach diesem Krieg einer Revision unterzogen werden. Bislang hat sich keine Flotte, ausser die der englischen Insel, bezahlt gemacht. Die Kriegsereignisse sind durch die teueren Grosskampfschiffe nicht im geringsten beeinflusst worden. Österreich-ungarische Schiffe haben zwar an der Eroberung des Lovcen entscheidend mitgewirkt. Hätte aber die Niederwerfung Montenegros nicht auch durch Aushungerung erfolgen können? Einige Unterseeboote hätten dies in kurzer Zeit bewirkt. Und sicherlich unter geringeren Opfern. Nach Berichten von Kriegsberichterstattern hätte die Eroberung des Lovcen den Österreichern nur 153 Tote gekostet. Diese Zahl erscheint bedenklich niedrig. Man wird sie später mit den Angaben des Generalstabswerkes vergleichen müssen. Auch die Angabe der selben Quelle, wonach der Verteidiger «mindestens die vierfache Zahl von Toten zu beklagen hat», erscheint bedenklich. Bisher waren es immer die Angreifer, die die grössten Verluste erlitten haben. Wieso diese Umstürzung der Regel?

Der Lovcen ist ein Sinnbild dessen, um was gekämpft wird. Um militärische Machtstellung in einem Zustand der Anarchie, den man sich auch nach dem Kriege als fortlebend vorstellt. Für uns besteht das einzige Kriegsziel in einer zwischenstaatlichen Ordnung, in der militärische Machtstellungen keine Bedeutung mehr haben sollen. Wir erstreben eine den Frieden sichernde Rechtsordnung und ein Gibraltar des Völkerrechts.