Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 26. Februar.

Über zwei Ereignisse freut sich die deutsche Presse: lieber die glatte Annahme des letzten 15 Milliarden-Kredits und über Lloyd George’s Rede vom 24. oder 23. d. M.

Die Erhöhung der Kriegsschuld des Reiches, deren Verzinsung nach den Mitteilungen des Schatzsekretärs bereits jetzt 3,4 Milliarden Mark erfordert, um weitere 15 Milliarden, die bei der Verteuerung der Kriegführung höchstens nur 5-6 Monate reichen werden, ist wahrlich kein erfreuliches Ereignis. Diese Milliarden-Etappen bezeichnen den Weg zum wirtschaftlichen Tod.

Ebensowenig Anlass zur Freude bietet die Rede Lloyd George's. Der englische Staatsmann malt die Situation für sein Land trüb. Aber gerade weil er dies tut, weil er es unterlässt, im üblichen Hurraton zu sprechen, schön zu färben, gerade darum kann man aus seiner Rede die kaltblütige finstere Entschlossenheit herauslesen, durchzuhalten. Wenn die deutsche Presse — und auch die österreichische — in den von Lloyd George angekündigten Massnahmen den Anfang vom Ende erblickt — «das grosse Zähneklappern» wie im Kinostil die «Wiener Reichspost» schreibt — dann ist das ein geschicktes Manöver, um die Stimmung im eignen Land zu heben, an den Erfolg des Verzweiflungsmittels durch den unbeschränkten Unterseebootkrieg glauben zu machen, aber im übrigen ein weiterer Irrtum über die Lage. Lloyd George's ungefärbter Situationsbericht gibt nicht ein Anrecht, auf den baldigen Zusammenbruch Englands zu rechnen, sondern lässt vielmehr erkennen, dass man sich dort darauf einrichtet, mit allen Mitteln den härtesten Widerstand zu leisten. Die Rede deutet an, was geschehen muss, um den Gefahren entgegenzutreten. Sie lässt aber nicht den mit der Durchführung des unbeschränkten Unterseebootkriegs erhofften baldigen Abschluss des Kriegs erkennen. Man rüstet sich vielmehr in England auf einen Kampf von langer Dauer.

Seit drei Tagen lacht der Frühling in die Welt hinein. Manchmal schon mit sommerlicher Stärke.

Vorzeitig. Zum drittenmal und unter bangerer Stimmung denn je. Mord und Vernichtung nehmen zu, Verschuldung und Elend wachsen. Man wird gleichgültig. Denn selbst der Frieden kann uns kaum mehr Erlösung bringen. Die heute lebenden Menschen, auch die eben geborenen, werden die Wiederherstellung der Menscheit, der Welt, nicht mehr sehen. Es wird für sie niemals mehr so werden wie es war!