Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 6. Juni.

Der große Vorstoß an der Aisne und bis zur Marne ist vorläufig erlahmt. Vorläufig. Dass die Offensive aufgegeben ist, wird niemand annehmen. Sie wird im gegebenen Augenblick und an einer der Heeresleitung günstig erscheinenden Stelle wieder aufgenommen werden. Das weiß man auch in Frankreich. Dass man aber dort nachzugeben gesonnen wäre, klingt aus der Rede, die Clémenceau vorgestern in der Kammer gehalten hat, nicht heraus, ist aus dem Votum nicht erkennbar, das ihm mit 370 gegen 110 Stimmen das Vertrauen verkündete. Dass wir zurück weichen müssen, meint Clémenceau, konnte uns nicht überraschen, nachdem mit dem russischen Zusammenbruch die Deutschen ihre frischen Millionenheere 212 gegen uns geführt haben. Wir weichen zurück, wir werden uns aber nicht ergeben. Amerika wird die Partie entscheiden. — Der Krieg findet also seine Fortsetzung, weil die deutschen Vaterlandslandsverderber ihren U-Bootkrieg haben mussten. Wäre Amerika nicht dadurch in den Krieg gezogen worden, so könnte sich Clémenceau jetzt nicht auf die amerikanische Hilfe stützen. Aber es wäre ja nicht so weit gekommen. Hätte Wilson seine Friedensaktionen nicht als Kriegführender unternehmen müssen, hätte er als Neutraler sprechen können, dann würde sein Einfluss so groß gewesen sein, dass der Friede nach der russischen Revolution zustande gekommen wäre. Wir wissen, wo die Kriegsverlängerer sitzen.