Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Locarno, 15. April.

Zum erstenmal ist das Wort vom fünften Kriegswinter gefallen! Haussmann hat es gesprochen in einer Rede, die er am 10. April in Stuttgart hielt. Ich habe nur einen Auszug zu Gesicht bekommen. Darin heißt es (Bert. Tagebl. 12. IV.):

«Die wichtige Frage sei, ob die militärischen Erfolge sich bald in politische umseben werden. Um unerwünschten Stimmungsenttäuschungen vorzubeugen, sei es nützlich, klar zu sehen. Die Aufbietung all unsrer Kraft sei noch lange nötig. Der Friede sei noch fern; leichtfertig sei, wer ihn für die nächste Zeit verspricht. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass in den nächsten Monaten der fünfte Kriegswinter vorbereitet werden muss.» —

Da haben wir’s also. Das ist die unumwundene Bestätigung meiner hier so oft vertretenen Ansicht, dass kein Sieg zum Frieden führt. Das ist die Desavouierung Hindenburgs und andrer, die dem deutschen Volk aus den Siegen im Westen den wahren Frieden verhieben, das ist die Entlarvung des Reklameschlagwortes für die achte Kriegsanleihe, deren Erfolg den Frieden sichern soll. Alles blendende Täuschung. Die Gegnerschaft der Deutschen im Westen denkt gar nicht daran, aus ihren Niederlagen die Notwendigkeit einer Unterwerfung zu ziehen. Lord Curzon hat kürzlich im Oberhaus von Kriegsmaßnahmen für das Jahr 1919 gesprochen. England ist keineswegs nervös. Es rechnet mit einer Niederlage in diesem Frühjahr und organisiert kaltblütig eine neue Armee mit den Fünfzigjährigen und den Iren und mit den Amerikanern. Fünfter Kriegswinter? Ich sage Euch, ehe nicht das Militärregime in Deutschland einem vernünftigen, weifschauenden Bürgerregime Platz macht, gibt es noch einen sechsten, ja einen zehnten Kriegswinter und eine zwanzigste Kriegsanleihe!