Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

9. Oktober 1914.

Seit vorgestern wird Antwerpen beschossen. Deutschland pocht mit 42 cm-Kalibern an die Pforten der südlichen Nordsee. Sie werden ihm aufgetan werden! Aber um welchen Preis! Wird das alte kunstvolle Antwerpen, das das Herz jedes Kulturfreundes entzückte, in Trümmern liegen? Wird die Kathedrale, das Musée Plantin und viele der köstlichen Bauten und Denkmäler diesem Ansturm widerstehen? Vor zwanzig Jahren — im September — betrat ich zum ersten Mal jene Stadt. Der VI. Weltfriedenskongress wurde dort abgehalten. Teils im Saale eines Lyzeums, teils in den Prachträumen des Rathauses. Es war der erste Weltfriedenskongress, den ich besuchte. Später war ich noch einige Male dort. Zuletzt 1907 während der II. Haager Konferenz.

Gleichzeitig geht auch die Schlacht im Norden Frankreichs anscheinend ihrem Höhepunkt entgegen. Es soll mit grosser Erbitterung dort gekämpft werden. Aus Galizien und Bosnien wird günstiges Fortschreiten gemeldet.

Und alles dies um die Ermordung des Erzherzogs zu rächen? — Nein, sagen heute die Kriegsgelehrten, es ist die Ansammlung der Gegensätze, die zur Explosion kam. Wenn man aber von dieser Ansammlung von Gegensätzen gewusst hat, wie durfte man die Absicht ausführen wollen, in Europa einen «lokalen» Krieg zu führen. Darf man in einem mit Gas geschwängerten Raum ein Streichholz anzünden? — —