Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 30. Januar.

Man lebt unter dem Druck der sich vorbereitenden Ereignisse, in der Spannung über die Entwicklung oder Unterbleibung eines österreichisch-amerikanischen Gespräches. Es wird von Vernünftigen hier darauf hingearbeitet, dass das von Czernin ausgeworfene zarte Seil, vom Präsidenten Wilson aufgefangen werden würde. Es wäre klug. Man braucht Czernin durchaus nicht als den wirklich ehrlichen Makler zu nehmen, die Motive, die ihn zu seiner Politik zwingen, sind Garantie genug für die Ehrlichkeit seiner Absichten. Die Not, die ihn tugendhaft macht, ist so dauerhaft, dass auch die Tugend, die aus ihr folgt, die Chancen der Dauer in sich trägt. Der Friedenswille und noch mehr die Friedensnot der Völker Österreichs ist so groß, dass es für den Grafen Czernin kein Zurück mehr gäbe, wenn erst Gespräche zwischen ihm ; und Wilson begonnen haben würden. Dieses Volk lässt sich nicht mehr enttäuschen. Aber auch Wilson müsste klar sein, dass die Regierung und das Volk von Österreich-Ungarn gegenwärtig die mächtigsten Faktoren sind, die sich heute dem Alldeutschtum und dem preußischen Militärgeist entgegenstellen. Verhandlungen zwischen Washington und Wien könnten daher die dem Frieden gefährlichsten Elemente entkräften. Im übrigen habe ich diese Verhandlungen auf dem Weg über Österreich, als der «Linie des geringsten Widerstands» folgend, in diesen Blättern oft und seit Jahren gefordert.

Wenn nur die Italiener mit ihrer soeben an der obern Brenta losgelösten Offensive nicht alle Hoffnungen im Keime ersticken. Sollte ihnen da ein Erfolg blühen so würden sich die Offensive-Fanatiker in Deutschland kaum mehr zurückhalten lassen mit ihren Plänen gegen den Westen. Was dann? — Im Hauptausschuss des Reichstags haben mehrere Redner sich offen darüber geäußert, dass auch ein siegreiches Gelingen dieser Offensive noch keinen Frieden brächte. Scheidemann sagte, was hier so oft ausgedrückt wurde, dass selbst die Einnahme von Paris und Calais nicht der Friede wäre. Er sehe den Tag nicht, an dem Franzosen, Engländer und Amerikaner sagen; «Wir sind gegen Deutschland wehrlos, wir wollen seine Friedensbedingungen annehmen.» — Ganz bestimmt nicht! Es würde dann noch anders kommen. Zu Frankreich, England und den Vereinigten Staaten würde sich die ganze Welt gesellen.

Einem bayrischen Kultusminister, Knilling heißt er, war es Vorbehalten, Foerster als eine Gefahr für das deutsche Volk zu bezeichnen. Dies geschah im Finanzausschuss der bayrischen Kammer. Man kann sehen wie weit die Besinnung gewissen Kreisen in Deutschland bereits verloren gegangen ist. Die Tirpitze und die Reventlows und wie viele noch, die das deutsche Volk zu diesem Bluterguss gebracht haben, es immer weiter darin festhalten, sie, die die wirkliche Gefahr der deutschen Menschheit bilden, sie gelten als Helden, und dieser Mann der reinsten Sittlichkeit, der Vernunft und Besinnung predigt, der sich mutig unter die Besessenen wagt, soll als Volksfeind gelten? Die allbekannte Tragik aller Kulturkämpfer Förster, der Volksfeind! — Nur weiter so mit diesen Begeiferungen. Die Gestalt Försters wächst unter ihnen. So entwickelt er sich zum deutschen Tolstoi.