Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

8. Februar (Wien) 1915.

Das österreichische Rotbuch durchgeblättert. Man wollte den Krieg. Sucht nur, diesen Willen zu rechtfertigen durch Belege über serbische Machenschaften, die darauf abzielten, die südslavischen Gebiete der Monarchie zum Abfall zu bewegen. Man wollte den Krieg; aber nur mit Serbien. Die Einmischung Russlands hält man für einen unberechtigten Eingriff. Das ist natürlich Verstellung. Man musste wissen, dass Serbien nur eine russische Dependance ist, die eine eigene Politik Österreich-Ungarn gegenüber gar nicht zu betreiben imstande wäre. Eine isolierte Aktion Österreich-Ungarns gegen Serbien konnte es gar nicht geben. Die Fiktion der österr.-ungarischen Staatsmänner, es mit Serbien allein zu tun zu haben, war darauf berechnet, Russland eine Niederlage zu bereiten, die dieses Reich nicht ruhig hinnehmen konnte. Man hat daher, indem man unter allen Umständen den Krieg gewollt hat, mit dem Weltkrieg rechnen müssen. Serbien hat Österreich belästigt. Von einer Bedrohung konnte keine Rede sein; nur von einer Belästigung. Um diese abzuwehren, wusste man kein anderes Mittel als den Weltkrieg. Und man glaubt mit den im Rotbuch enthaltenen Beweisen der Belästigung ein Recht darauf gehabt zu haben, die Welt in Brand zu stecken. Man stelle sich vor, ich werde von einer Fliege gequält. Diese sitzt auf einer kostbaren Sèvres-Vase. Ich schlage nach ihr, zertrümmere die Vase und rechtfertige den Schaden damit, dass die Fliege mich eben belästigt habe. Es wäre mein Recht gewesen, nach ihr zu schlagen. Dass die Vase dabei in Trümmer ging, geht mich nichts an. Die Fliege ist schuld. So hat Österreich-Ungarn den Weltfrieden vernichtet, weil ein Staat von zwei Millionen es belästigt hat.

Der Wille zum Krieg geht deutlich aus folgender Tatsache hervor. Alle Vermittlungsvorschläge wurden unter dem Hinweis auf die bereits eingeleiteten kriegerischen Aktionen abgelehnt. Den Vorschlag einer Fristverlängerung des Ultimatums, wodurch die kriegerischen Aktionen hätten hinausgeschoben werden können, hat man abgelehnt.

Es wird später darzulegen sein, dass die Belästigung der Monarchie seitens Serbiens auch auf andrem Weg als durch Krieg hätte beseitigt werden können. Die Rechtfertigung, wie sie in dem Bericht des Gesandten Giesl vom 21. Juli enthalten ist, wirkt deprimierend. Darum also die Welt in Brand und Millionen Leichen aufgetürmt?