Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

20. August 1914.

Das Ereignis des heutigen Tages ist, dass Japan dem Deutschen Reiche ein unerhörtes Ultimatum gestellt hat. Es verlangt die sofortige Zurückziehung der deutschen Kriegsschiffe aus den japanischen und chinesischen Gewässern und die Abrüstung dieser Schiffe, ferner bis zum 15. September die bedingungslose Übergabe des gesamten Pachtgebietes von Kiautschau an die japanischen Behörden und die unbedingte Annahme dieser Forderungen bis zum 23. August. —

So spricht Japan zum Deutschen Reich!

Vielleicht wird heute manchem Eisenfresser in Deutschland der Gedanke aufdämmern, dass die Weltorganisation ein besseres Mittel der Sicherung gewesen wäre als das schlagfertigste Heer. Die Situation erscheint mir bedenklich. Gewiss wird Deutschlands Heer Übermenschliches leisten; ob es auf die Dauer dieser Weltkoalition wird standhalten können, das ist die Frage. Und welcher Jammer, welcher ein Jahrhundert zumindest erfüllende Schmerz, wenn soviel Grösse, Schönheit und Macht zu Boden gerungen werden müssten, weil die führenden Schichten es nicht verstanden haben, den Schwerpunkt der Politik nicht lediglich auf das Schwert zu stellen.

Es kann jetzt noch Amerika in diesen Krieg um die Züchtigung Serbiens mit hineingezogen werden. Diese zusammenhängende Welt, die sich da zeigt, in der man mit souveräner Machtpolitik wirtschaften wollte. Das ist es ja eben, was wir unsern Gegnern zum Vorwurf machen, dass sie diese Zusammenhänge nicht erkannt, oder, wenn erkannt, nicht richtig eingeschätzt haben. Die Politik des isolierten Staates hat bereits vierzehn Tage nach Ausbruch des europäischen Krieges Bankrott erlitten.

Von allen Kriegsschauplätzen werden entsetzliche Greuel gemeldet; hauptsächlich hervorgerufen durch das Eingreifen der Zivilbevölkerung in den Kampf. Ein österreichischer Soldat schildert in der «N. Er. Pr.» die Kämpfe bei Schabatz:

«In diesem Kampf hat auch die Zivilbevölkerung eingegriffen. Ein siebzehnjähriger Bursche schoss auf unsere Vorposten. Ein siebzigjähriger Greis schien verdächtig, auf unsere Soldaten geschossen zu haben. Er leugnete dies jedoch, und wir fanden auch kein Gewehr bei ihm. Er wurde in ein Haus eingesperrt, dort fand er ein Gewehr, öffnete das Fenster und schoss von dort auf die Soldaten. Er wurde sofort hingerichtet. Ein ungarischer Soldat wurde von einem Serben plötzlich überfallen, so dass dieser sein Gewehr nicht benützen konnte. Es entstand ein Ringkampf zwischen den beiden, der Serbe kam zu Fall und der ungarische Soldat durchbiss ihm die Kehle. Die Komitatschis bilden die Vorposten der serbischen Truppen und sie arbeiten meist mit Bomben.»

Im Westen geht es nicht besser zu. Die «N. Fr. Pr.» meldet heute aus Berlin:

«Infolge der Mordtaten der Franktireurs hat der kommandierende General im Oberelsass eine Bekanntmachung erlassen, in der es heisst:

Wenn Einwohner einer Gemeinde sich am Kampf gegen unsere Truppen beteiligen, so werden nicht nur sie, sondern auch der Bürgermeister der betreffenden Gemeinde erschossen und die Ortschaft demoliert. Unsere Truppen haben Befehl erhalten, jeden Hausbesitzer, der französischen Soldaten Aufenthalt gewährt, sofort zu erschiessen. Das Berauben der Leichen auf den Schlachtfeldern wird mit sofortigem Erschiessen geahndet. Ich bedauere auf das Tiefste, dass verabscheuungswürdige Verbrechen einzelner Schandbuben zu dieser Bekanntmachung zwingen und so den guten Namen der Elsässer schänden.»

Im belgischen Ort Visé wurden nach einer Meldung des «Amsterdamer Handelsblatt» in der Nacht zum Sonntag ein deutscher Offizier von Einwohnern getötet und sechs Mann verwundet. «Daraufhin wurde Visé gänzlich eingeäschert, und die männlichen Einwohner nach Aachen gebracht, wo über ihr Schicksal entschieden wird».

Ja, diese Scheusäligkeiten waren vorauszusehen. Aber da gab es Bücher, und gibt es deren noch, die den Krieg als das Stahlbad der Völker, die Schule der Sittlichkeit und Grösse preisen.

Am widerlichsten sind die Dichter. Die beginnen jetzt mit Tönen, die man wirklich unmodern wähnte. So Sudermann gestern im «Berliner Tageblatt» in einem Sang «Was wir waren und was wir sind». Schrecklich!

Der «Vorwärts» darf auf preussischen Bahnen verkauft werden! — Das ist das unglaublichste Ereignis dieser alles Bestehende umstürzenden Zeit!