Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 13. Juni.

Im preußischen Abgeordnetenhaus ist die Regierungsvorlage für ein allgemeines Wahlrecht zum vierten Mal abgelehnt worden. Die Regierung will nun mit der Auflösung vorgehen. In Zeiten normaler Menschlichkeit hätte ein Ereignis wie der Kampf für das allgemeine Wahlrecht in Preußen und das Eintreten der Regierung dafür, großen Eindruck gemacht und Begeisterung hervorgerufen. Heute, nach vier Jahren des Wahnsinns, ist die Art des Wahlrechts in Preußen eine so winzige Angelegenheit gegenüber den durch den Krieg entstandenen Weltproblemen, das uns der große Lärm, der über die Angelegenheit in Deutschland gemacht wird, als ein Manöver zur Ablenkung des Volkes von andern ernsten Erwägungen erscheint. Der Widerspruch zwischen allgemeiner Sterbepflicht für den Staat und einem nach Besitz abgestuften Recht zu wählen ist so haarsträubend, dass einem ein Kampf für und gegen halb traurig, halb aber lächerlich erscheint.