Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 7. April.

Dass Krieg ist und dass auf allen Seiten gekämpft wird, weiss man. Über die eigentlichen Vorgänge ist man sich jedoch nie im klaren. Entscheidungen gibt es nicht, und die kleinen Vorgänge, von denen uns die Zeitungen berichten, weiss man nicht zu werten. Umsoweniger als jede Gruppe den betreffenden Vorgängen eine andre Wertung geben will. Soviel scheint festzustehen, dass es uns in den Karpathen nicht gut geht. Wir haben nach dem offiziellen Bericht wieder eine bessere Verteidigungsstellung bezogen, die jedoch rückwärts liegt. Das braucht noch keine Niederlage zu sein, ist aber in jedem Fall nicht der Sieg, von dessen Entscheidung man nach dem Fall von Przemysl soviel erwartete. Man spricht jetzt in den Blättern viel von einem österreichisch-russischen Separatfrieden, was von offizieller österreichischer Seite dementiert wird. Das will jedoch nicht viel besagen. Es hat sehr den Anschein, als ob man in Österreich-Ungarn des Kriegs müde wär. Aber man kann in Rücksicht auf Deutschland kein Ende machen. Dass ein offizielles Telegramm darlegt, wie gross das von Österreich und Deutschland besetzte russische Gebiet an Quadratkilometern und Einwohnern ist, scheint mir ein Zeichen von Friedensabsichten zu sein. Man will zeigen, dass der Besitz Galiziens seitens Russland durch jene österreichisch-deutsche Besitzergreifung aufgehoben wird. Das hat man nicht notwendig, wenn man nicht einen Ausgleich erstrebt.

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Sonderbar sind manchmal die Ansichten über den Charakter des künftigen Friedens. Unsre Gewaltfanatiker fürchten anscheinend dessen Dauerhaftigkeit. Darum versuchen sie, jene Anschauungen in Verruf zu bringen, die auf einen solchen Rücksicht zu nehmen empfehlen. Namentlich jene, die von Gebietserweiterungen abraten, weil gerade dadurch die Dauerhaftigkeit des Friedens am meisten bedroht sein könnte. Da liegt mir ein Artikel der «Münchener Zeitung» vor (ungefähr Ende März), der ein Muster des unlogischen Denkens ist. Danach «gibt es nichts Törichteres als den Wahn, der kommende Friede müsse die Interessen und den Besitz der Völker nach den Prinzipien der Vernunft so ausgleichen, dass für alle Zukunft ein Krieg vermieden wird». Nichts Törichteres also als die Hoffnung auf die Vernunft! Man müsse daher, so folgert das Blatt, nur ruhig nehmen, ohne Rücksicht darauf, ob das künftig ein Streitapfel wird oder nicht. Man dürfe sich nicht fürchten, ein grosses Weltvolk zu werden usw. Die Dauerhaftigkeit des Friedens hält das Münchener Blatt von der Ausdehnung unsrer Macht abhängig. Es schliesst: «Je näher unsre Grenzpfähle und unsre Flottenstützpunkte dem Herzen des Feindes stehen, umso länger blüht uns der Frieden. Es gibt für uns nur eine Friedensgarantie: unsre Stärke. Wäre es möglich, dass wir unüberwindlich würden, so hätten wir den ewigen Frieden».

Das ist eine wundersame Logik. Sie entspringt ganz der Auffassung von der Einseitigkeit des Friedens. «Unser Friede» erscheint hier als das Problem, während der Friede nur das Ergebnis eines Gesamtwillens sein kann. Den ewigen Frieden durch den Totschlag aller andern erreichen zu wollen, liegt nicht mehr innerhalb der Grenzen, die die Vernunft zieht. Diese Absicht gehört in das Gebiet des Wahnsinns. Der Artikel ist daher im höchsten Masse zeitgemäss.