Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 1. Oktober.

In höchster Spannung der fieberkranken Welt treten wir in das letzte Quartal des Jahres 1915. Mögen sich doch in diesen bevorstehenden drei Monaten diese Spannungen lösen, der Ansatz zur Ordnung gefunden und die Grundlage der Neuordnung für die Dinge gelegt werden. Vorläufig sieht es furchtbar aus in der Welt. — — Augenblicklich ist die Schweiz, mit Ausnahme von Deutschland, von den sie umgebenden kriegführenden Staaten so gut wie abgeschnitten. Aus Österreich fehlt jede postalische Verbindung seit mehr als einem Monat. Gestern hat Frankreich die Grenze gesperrt, auch für den Personenverkehr, und mit Italien ist der Telegraphenverkehr unterbrochen. Das sind Zeichen krampfhafter Anspannung.

Über den grossen Offensivvorstoss der Alliierten im Westen dringen jetzt allmählich Einzelheiten in die Öffentlichkeit, Schilderungen des wahnsinnigsten Blutbades, das die Weltgeschichte je gesehen. Aus dem Bericht des Reuterkorrespondenten über die Schlacht von Loos nur eine Stelle: «Zahlreiche Keller waren mit Deutschen angefüllt, die durch die Lichtöffnungen schossen. Die Mannschaften drangen in die Häuser ein, öffneten die Falltüren und warfen ein bis zwei Handgranaten in die Keller. Das genügte im allgemeinen» ... Das genügte! Wahnsinnige Welt! Vertierung, wo solches möglich ist. Und das ist nur eine schwache Episode des tierischen Wütens zwischen Kulturvölkern dieses zwanzigsten Jahrhunderts. Sind die Lobpreiser des Kriegs nicht insgesamt die verdammenswertesten Verbrecher?