Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 14. Mai.

Kaiser Karl war am 12. Mai mit großem diplomatischen und höfischen Gefolge im deutschen Hauptquartier. Es wird berichtet, dass dort die Richtlinien über das künftige Bündnisverhältnis der beiden Reiche besprochen und beschlossen worden seien. Das alte Bündnis von 1879 hat seine Grundlagen verloren, da von Russland, gegen das es geschlossen wurde, in absehbarer Zeit keine Gefahr mehr droht. Dem Bündnis muss daher ein neuer Inhalt gegeben werden. Es wird davon gesprochen, dass es sich um eine, staatsrechtlich durch die Landesgesetze festzulegende Verbindung in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Beziehung handelt. Glücklicherweise sind das erst Projekte, deren Auftauchen jetzt nicht Verwunderung zu erregen braucht, da gegenwärtig die Alldeutschen im Reich wie in Österreich, unterstützt durch die Allmagyaren, das Millennium ihrer Träume erreicht wähnen. Hart im Raum stoben sich jedoch die Dinge in der, in ihrer Mehrheit keineswegs deutschen, am aller

wenigsten reichsdeutsch-preußisch gesinnten Donaumonarchie. Das ganze hat mehr Demonstrationswert als innern Wert.