Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 31. März.

Bemerkenswert ist ein Artikel des Abg. Erzberger im «Tag» (28. März), der sich gegen die Erörterung der Kriegsziele wendet. Es wäre verfrüht. «Der Friede wird durch die Stärke unsrer militärischen Position bestimmt. Unser Heer hat grosse, bewundernswürdige Erfolge erzielt, aber darüber herrscht auch kein Zweifel, dass unsre Gegner noch nicht niedergerungen sind.»

Das heisst zu deutsch: da wir noch nicht gesiegt haben, können wir über die Siegesbeute noch nicht verhandeln. Nun sind diese Worte veröffentlicht worden an dem Tag, an dem der Krieg 8 Monate währte. Acht Monate Weltkrieg, mit hunderttausenden von Toten, von Krüppeln, von verlorenen Milliarden und noch kein Ergebnis. «Was soll uns eine Debatte nützen», schreibt Erzberger, «die aufgebaut ist auf der heutigen Situation».

So hat sich das sicher keiner der Kriegsanhänger gedacht, die von diesem Krieg das Heil erwartet haben. Nach acht Monaten noch kein Ergebnis. Und noch immer die törichte Idee, dass unsre Gegner erst «niedergerungen» werden müssen, um uns zum Sieg zu führen. Wer kann dies für möglich halten? Ein Niederringen ist auf keiner Seite möglich. Der Sieg liegt im Kompromiss.

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Die Rede Greys vom 22.d.M. hat in englischen Blättern eine beachtenswerte Zurückweisung erfahren. Bezüglich jener Stelle, wo Grey auf die viermal seitens Preussens geführten Kriege hinweist und die Bemerkung macht, dass dies zum letzten Male sein werde, schreibt der «Manchester Guardian» (23. März):

«Wenn Sir Edward Grey sagte, dass das zum letzten Mal sein müsse, dass ein Krieg auf solche Weise gemacht werde, mag dies wenig oder viel sagen. Dem Ziel stimmen wir alle zu. Aber man braucht nur zu versuchen, dies in Form eines Friedensartikels auszudrücken, um zu erkennen, wie unbeholfen man dann der Sache gegenübersteht. Für den Durchschnitts-Engländer kann diese Äusserung die Einrichtung einer Rechtsherrschaft bedeuten, soweit diese durch einen Friedensvertrag bewirkt werden kann. Aber für den Deutschen kann es bedeuten, dass Deutschland so niedergerungen werden müsse, dass es überhaupt keinen Krieg mehr unternehmen könne, dass es daher aufgeteilt oder dauernd besetzt werden müsse. Natürlich meint Sir Edward Grey nichts derartiges, aber so dürfte die Auslegung sein, die sich der deutschen Regierung nach jenen Worten aufdrängen müsse, was den Durchschnittsdeutschen veranlassen wird, alle Opfer zu bringen, um die vermeintliche Vernichtung seines Landes zu verhindern. Wenn es überzeugt werden kann, dass wir die Absicht haben, den Bestand seines Landes zu vernichten, wird es bis zum Äussersten gehen. Und dies ist ein Grund, warum unsere Staatsmänner eine Sprache vermeiden sollten, die dem Gegner solche Auslegungen sich aufzudrängen gestattet. Es liegt doch ein Unterschied darin, ob der Krieg in einem Jahr, oder in weniger als einem Jahr oder erst in zwei oder drei Jahren beendigt werden kann.»

Englische Presseäusserungen dieser Art werden in der deutschen Presse fast nie wiedergegeben. Hier wird ein englischer Minister von seinen Landsleuten darauf aufmerksam gemacht, dass seine Äusserung in Deutschland falsch verstanden werden kann und ersucht, solche den Krieg nur verwirrende und unnötig in die Länge ziehende Bemerkungen zu unterlassen.