Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Thun, 9. Juli.

Mit dem Hinweis auf meine Betrachtungen über den Treubruch Italiens hat mich Professor H. in X. auf das Buch «Die deutsche Krisis im Jahre 1866» von Wilhem Hopf aufmerksam gemacht, und mir einige bestimmte Seiten ganz besonders bezeichnet. Da fand ich nun u. A. den Vertrag, den am 8. April 1866 Bismarck mit Italien zwecks gemeinsamer Kriegführung gegen Österreich abschloss, wobei das eine Bundesmitglied Preussen dem ausländischen Staat Besitz des andern Bundesmitglieds Österreich für die Kriegshilfe zusicherte. In einer Anmerkung wird darauf hingewiesen, dass dieses Abkommen mit dem ausländischen Staat zu einer Zeit geschlossen wurde, als der Deutsche Bund noch rechtlich und tatsächlich in voller Kraft stand. Es wird da auch eine Äusserung des damaligen Reichskanzlers v. Beust (aus seinen Lebenserinnerungen) angeführt, worin gesagt wird: «Es ist vollkommen müssig, die Frage zu untersuchen, auf welcher Seite im Juni 1866 das Recht gewesen sei ... Der Bundesbruch war längst zuvor in unbestreitbarer Weise durch das Bündnis Preussens mit Italien vollzogen, ein Bündnis abgeschlossen zu gemeinsamem Krieg gegen ein Bundesglied. Das war eine Handlung im direkten Widerspruch mit den Grundgesetzen des Bundes und das erste und einzige Beispiel in dessen fünfzigjähriger Geschichte».

Wer hat diese Dinge noch in Erinnerung? Doch ist es inmitten der allgemeinen Entrüstung über den Vertragsbruch Italiens angebracht, auch an jenen Vorgang zu erinnern. Der Vertragsbruch Italiens wird einem dadurch nicht milder, aber menschlich verständlicher erscheinen. Und es wird einem klar werden, dass diese Methode der politischen A-Moral nach diesem Krieg, als nicht mehr in unsre Zeit hingehörend, über Bord geworfen werden muss.

Die Geschichte selbst treibt uns mit ihren ironischen Scherzen dazu, mit solchen Methoden aufzuräumen. Das zum Deutschen Reich gewandelte Preussen kämpft heute im Bund mit dem verratnen Bundesgenossen von damals gegen den Teilnehmer an jenem Verrat, zum Zweck der Zurückweisung des von diesem an den beiden Bundesgenossen verübten Treubruchs. Will man da immer noch behaupten, es läge Vernunft in der Geschichte? Und gibt einem dieser Wandel der Ideen und Handlungen nicht das Recht, die Vorgänge weniger ernst und als weniger nachhaltig zu nehmen? Die Regierungen vergessen ebenso leicht wie die Menschen, und die Feinde von heute werden wieder Brüder sein, wie es die Feinde von gestern geworden sind. Es wird nur darauf ankommen, das richtige Schlagwort zu lancieren.

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