Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

4. Oktober.

Die Schlacht an der Aisne oder an der Marne, oder wie man am besten sagen würde, die «Schlacht in Nord-Ost-Frankreich» währt nun bereits einen Monat. Von einer «Entscheidung» kann noch auf keiner Seite gesprochen werden. Naumann dürfte die Lage am richtigsten gekennzeichnet haben, wenn er sagt (Hilfe Nr. 40 S. 645) «Beide Teile sind wohl fest eingewühlt, matt und warten auf Verstärkungen. Wer weiss wie lange diese Schlacht noch dauert und ob sie nicht ununterbrochen bis zum Ende des Feldzuges währt. Wie unangepasst ist dieses Wort Feldzug jetzt. Es stammt aus den Zeiten, wo der Krieg wirklich noch aus einem gegenseitigen Hinüberziehen von Heeren bestand. Das ist jetzt ein Wogen, ein Anprallen von Heeresozeanen geworden..»

Wie eine Entscheidung, ein Ende überhaupt zustande kommen kann, weiss niemand. Auf die Vernunft der Menschen kann man nicht bauen. Es wird wieder die Logik der Dinge sein, die ein Ende macht. Die Einen rechnen mit dem Ausgehen des Geschossmaterials, die andern mit dem Versiegen der Nahrungsmittel, die Dritten mit der Entwertung des Geldes.

Präsident Wilson hat für heute einen allgemeinen Bettag für den Frieden angeordnet. Das Gesundbeten soll infolge der suggestiven Kraft oftmals wirken. Hier erwarte ich wenig Erfolg davon.

Wie die Psyche in den Vereinigten Staaten eingestellt ist, geht aus einem Artikel der New-Yorker «Evening-Post» vom 14. September hervor, der also aus einer Zeit stammt, in der die englischen Nachrichten nicht mehr alleinherrschend waren. Darin wird allen Ernstes ermahnt, dass Deutschland im Interesse der Kultur «nicht zu sehr gedemütigt» werden dürfe.

Die neue Partei, die sich kürzlich in England gegründet hat, der Ramsay Macdonald und Norman Angell angehören, hat allgemeine Grundsätze für den künftigen Frieden formuliert, die folgende Punkte ins Auge fassen:

1. Keine Gebietsabtretung ohne Volksabstimmung.

2. Demokratische Kontrolle der auswärtigen Politik.

3. Keine Bündnisse sondern ein europäisches Staatensystem mit öffentlichen Beratungen und Entscheidungen.

4. Allgemeine Beschränkung der Rüstungen und deren Verstaatlichung.

In England dürfen solche Thesen wenigstens zur Erörterung gestellt werden. Bei uns dürfte man nicht daran rühren.