Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 12. Juni.

Der Kronprinz hat dem als Gefangenen nach Mainz abgeführten Verteidiger der Feste Vaux in Anerkennung seiner an den Tag gelegten Tapferkeit den Degen belassen. Das ist internationaler militärischer Brauch. Aber dieser Brauch zeigt auch, wie sehr der Krieg bei Militärs mit Sportbegriffen durchsetzt ist. Die Völker setzen ihr Leben ein, — das Leben des eigenen Volkes wird vom Gegner mit allen Mitteln vernichtet. In tausenden von Schicksalen greift er ein. Sobald er aber überwunden ist, ehren wir seine, für uns so furchtbar gewesene Betätigung. Man ehrt sich selbst damit. Ist das noch der Verzweiflungskampf ums Dasein und nicht vielmehr die ritterliche Allüre des Spiels, das im Gegner nur den liebenswürdigen Widersacher erblickt, ist das nicht der Krieg als Sport aufgefasst? —

* * *

Die Münchener philosophische Fakultät wendet sich in einem öffentlichen Protest gegen Professor Fr. W. Förster, weil er in einem Artikel in der «Friedens-Warte»

«über Bismarck, das deutsche Reich und seine Aufgaben, Ansichten und Wendungen brauchte, die jeden Deutschen mit Entrüstung erfüllen müssen. Die philosophische Fakultät erste Sektion spricht einstimmig ihre stärkste Missbilligung aus, dass einer ihrer Professoren in so ernster Zeit jenseits der Reichsgrenzen solche Meinungen in dieser Tonart vorgebracht hat. Ihre Mitglieder werden jedem Versuch, sie unter die Autorität des Lehramts in der akademischen Jugend zu verbreiten, mit voller Entschiedenheit entgegentreten».

Die Folge dieses Protestes war ein geräuschvoller Auftritt gegen Förster, den nach Zeitungsberichten einige Studenten in der Vorlesung veranstalteten, bevor sie von der Masse der zustimmenden hinausgedrängt wurden.

Es ist jedenfalls nicht angebracht, sachliche Differenzen gegen ein Mitglied des Universitätslehrkörpers dadurch auszugleichen, dass man dessen politische Gesinnung in dieser übernervösen Zeit durch öffentliche Entrüstung zu bekämpfen sucht. Damit wird Förster nicht widerlegt, sondern nur belästigt. Und man wird den Gedanken nicht los, dass es sich dabei um nichts anderes gehandelt hat. Heute, wo jede Art öffentlich bekundeter «Gutgesinntheit» des Applauses der Menge sicher ist, erscheint solch ein akademischer Bannfluch nicht als das Mittel, das der Wissenschaft würdig wäre, zumal es dem «Verfluchten» gar nicht möglich ist, sich öffentlich zu verteidigen.5) Jeder Versuch von seiner Seite würde der Panzerschere der Zensur zum Opfer fallen. Die «Friedens-Warte» ist in Deutschland verboten, und es würde Jedem schwer fallen, sich ein selbständiges Urteil über die Stellungnahme der Münchener philosophischen Fakultät zu bilden. Die Wiener «Arbeiter-Zeitung» (11. Juni) schreibt:

«Wir haben den Artikel des Prof. Förster seinerzeit gelesen und können nur sagen, dass er den edlen Sinn dieses Schriftstellers, der einer der sehr wenigen Männer der deutschen Wissenschaft ist, die ihre Gesinnung dem Krieg nicht geopfert haben, in herzerfreuender Weise atmet — was man auch sagen kann, wenn man Försters Ansicht nicht teilt».


5 Darin habe ich mich erfreulicherweise getäuscht.