Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 21. Oktober.

Die Antwort Wilsons an Östereich-Ungarn ist eingetroffen. So wie ich sie in meinen Eintragungen vom 16. September hier erwartete Von den Ereignissen überholt. Das furchtbare Wort, das einst Graf Berchtoldt dem englischen Vermittlungsanerbieten gegenüber gebrauchte, besiegelt nun das Schicksal des Habsburgerreichs.

Die vierzehn Punkte vom Januar 1917 will Wilson nicht mehr als Grundlage für Verhandlungen mit Österreich-Ungarn anerkennen da die Vereinigten Staaten mittlerweile die Tschecho-Slowakei als kriegführenden Staat anerkannt haben, da sie ferner ebenso die Berechtigung der nationalen Freiheitsbestrebungen der Südslawen anerkennen.

Das ist das Ende Österreichs!

Ist der Habsburgerstaat noch imstande, den Willen der Gegner mit Waffengewalt zu bezwingen? Wer wollte dies heute noch behaupten, wo Ungarn sich von der Monarchie losgelöst hat, die Tschechen, die Südslawen, die Polen, die Rumänen von ihr wegstreben und die physische und moralische Erschöpfung bereits so groß ist, dass es unmöglich noch länger so weitergehen kann. Österreich-Ungarn hat aufgehört zu sein. Das Kaisermanifest, das endlich die so lang ersehnte, so längst notwendig gewordene nationale Autonomie verheißt, das noch vor einem halben Jahr, vor drei Monaten noch, die Rettung gewesen wäre, kommt zu spät. Es wird kein neues Österreich mehr geben. Die Nationalitäten, die von der Einfalt der Regierenden immer gegeneinander ausgespielt und so zu gegenseitigen Hemmnissen ihrer Entwicklung geworden sind, wollen nichts mehr voneinander wissen, wollen jedes Band vermeiden, das sie an die verhasste Zwangsgemeinschaft erinnert.

Wie oft und wie rechtzeitig habe ich in diesen Blättern warnend den Ruf nach Loslösung von Deutschland erhoben, wie oft habe ich dargelegt, dass Österreich-Ungarn seine Völker nicht für die Ziele der Alldeutschen im Reich opfern dürfe, dass es allein zum Frieden kommen, dass es das Kapital seiner auch bei den Feinden ihm entgegengebrachten Sympathien ausnützen müsse. Aber die Staatsmänner Österreichs ließen sich durch die verbrecherischen Siegesberechnungen der deutschen Militärs täuschen. Jene blendenden Berechnungen, die selbst im Falle eines deutschen Sieges für die Monarchie eine Umklammerung und Unterjochung durch Deutschland in sich schlossen.

Das Bündnis mit Deutschland war das Unheil der Regierung der Doppelmonarchie. Sie wurde dadurch mit dem kriegerischsten und deshalb am meisten angefeindeten Staat in Europa verbunden. Die «schimmernde Wehr», die sie einstens mit begeisterten Hymnen priesen, erwies sich als Teufelswerk. — Als Teufelswerk? Für wen? Die Völker Österreich-Ungarns atmen doch alle auf, seitdem der Druck der Zentralgewalt von ihnen gewichen. Sie werden das Verhängnis preisen. Ich hätte ein neues, ein freies Österreich mit Freuden begrüßt als eine Macht, die geeignet gewesen wäre, dem deutschen Eroberungswahnsinn Einhalt zu tun. Ich bin deshalb immer für die Erhaltung dieses Staates eingetreten. Hat es nun die Beschränktheit der Regierenden bewirkt, dass dieser Staat zerfällt, werde auch ich ihm keine Träne nachweinen, zumal wenn sich Deutschland zu einem demokratischen Staat wandelt, dem sich Deutsch-Österreich als Glied anfügen wird.

Wie übermütig war man doch, als man im dritten Kriegsjahr, von den Siegen berauscht, das Symbol des neuen österreichisch-ungarischen Staatswappens schuf mit der Inschrift «Indivisibiliter ac inseparabiliter».

Dieser Zusammenschluss war auf Gewalt begründet, nicht auf Recht. Irgendein taktisches Übergewicht der gegnerischen Heeresgewalt zerbrach die Herrlichkeit. Jetzt ist dieses alte Reich der Habsburger geteilt, jetzt sind seine beiden Hälften voneinander getrennt, und jetzt, jetzt erst, nachdem es nichts mehr nützt, nachdem es so viel Blut gekostet, erklärt Graf Tisza, der Mitarrangeur des Kriegs, das Bündnis Ungarns mit Deutschland für gelöst. Jetzt, einige Wodien nachdem man es noch «vertiefen», verewigen wollte. Das sind die Ergebnisse der Vernachlässigung und Verachtung des Pazifismus, der retten wollte, der allein hätte retten können.