Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

11. Oktober 1914.

Man spricht viel von der wirtschaftlichen Mobilisierung, die man vorbereitet hat, es darf aber unserer Aufmerksamkeit nicht entgehen, dass neben dieser Anpassung der Wirtschaft an die Erfordernisse des Krieges auch eine geistige Mobilisierung fein durchdacht vorbereitet wurde und durchgeführt wird. Man muss tatsächlich über die grossartige Anlage jener Technik staunen, die es verstanden hat, die öffentliche Meinung so in den Dienst des Kriegs zu stellen, dass keinerlei Störungen zu fürchten sind. Die gesamte Presse in Deutschland und Österreich-Ungarn ist auf einen Ton gestimmt, dem sich fast keiner zu entziehen vermag. Für den objektiven Beobachter liegt hier das typische Beispiel einer Massensuggestion vor. Es denkt oder schreibt einfach keiner mehr ausserhalb der vorschriftsmässigen Geleise, und so sehr klappt alles nach dieser Richtung, dass man annehmen kann, es wäre das Denken auch vorher auf einem Exerzierplatz geübt worden. Unter der Parole, dass jede Abweichung von diesem vorschriftsmässigen Denken den Erfolg beeinträchtige, wagt keiner selbständig zu sein. Und so kommt es, dass nur eine Richtung herrscht, nur ein Urteil gilt, nur eine Anschauung besteht. Uniformierung der öffentlichen Meinung. Das muss notwendigerweise das Ergebnis eines vorher aufgestellten Planes sein, und man muss den Ingenieuren der geistigen Mobilisierung die Anerkennung zuteil werden lassen, dass ihnen ihr Werk trefflich gelungen ist. Sie beherrschen nicht nur die Zeitungen, sondern auch die Literatur und sogar die Lyrik.

Ein junger Anhänger unserer Bewegung macht mich auf folgenden Widerspruch aufmerksam: Es wird behauptet, Russland wollte uns 1916 nach Fertigstellung der strategischen Bahnen überfallen, aber auch: Russland hätte schon seit Frühjahr dieses Jahres mobilisiert.

Was ist richtig?

In den illustrierten Zeitungen sieht man jetzt Bilder von durch den Krieg zerstörten Städten. Man liest als Unterschrift: «Wie die Russen in Ostpreussen ,gehaust’ haben», daneben «Wirkung der Bomben der Zeppeline auf Antwerpen», oder «Bestrafung Dinants für Franktireurtaten» usw.