Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 7. September.

Der Kampf gegen Demokratie und Pazifismus scheint nach einer Parole in der deutschen Presse einzusetzen. Zwei infam verleumderische Artikel gegen mich, gegen das Gedenkheft der Friedenswarte zum Eintritt in das fünfte Kriegsjahr und die Mitarbeiter an jenem Heft liegen mir aus der «Rheinisch-Westfälischen Zeitung» (23. August) und der «Kölnischen Volkszeitung» (29. August) vor. Natürlich sind diese Verleumdungen ohne Namen veröffentlicht. Die Schreiber verschweigen, dass es sich um eine Zusammenführung aller in der Schweiz lebenden deutschen Kriegsgegner handelt, in der radikale und gemäßigte Ansichten gleichmäßig zum Ausdruck kommen. Sie zitieren nur die radikalen Autoren, führen von diesen nur die radikalsten Säße, aus dem Zusammenhang gerissen, an und huldigen dem Grundsaß; «calumniare audacter semper aliquid haeret». Darum ist es den Schreibern und ihren Auftraggebern hauptsächlich zu tun. Gesindel!

Die ernste Zeit ist nicht ohne Humor!

Der neue Staatssekretär entpuppt sich immer mehr als feuilletonist der Politik. Nachdem er mit einer Verbrüderung mit Iren und Ägyptern ,debütierte, hat er gestern österreichische und ungarische Journalisten empfangen und hat ihnen — Märchen erzählt. So sagte er:

«Bei unseren Gegnern arbeitet die Presse unter der Kontrolle des Staates, und ein Zeitungsschreiber, der nicht die Regierungssysteme vertritt, wandert bei ihnen einfach ins Zuchthaus. Wir dagegen in Deutschland und in Österreich-Ungarn halten an der freien Presse, selbst unter dem Zwang des Kriegsfest.»

Zum Lachen!

Weniger zum Lachen ist die Verhöhnung, die der Staatssekretär dem vor Hunger und Elend krepierenden österreichischen Volk ins Gesicht wirft, als er, nach dem Bericht des W. K. B. (N. Z. Z., 7. September) seine besondere Freude aussprach, «dass es, wie das Wiener Straßenbild zeige, dem Optimismus der Wiener gelungen ist, die schweren Kriegsjahre so gut zu überstehen». Welche Straßen mag denn Herr von Hintze im Auto durchflitzt haben?

Unerhört auch, der im Hinblick auf den Rückzug im Westen gesprochene Satz «Wenn man Rosen pflücken will, so muss man auch die Dornenstiche gewärtigen.» Dornenstiche nennt er das faulende Schicksal der lebten vier Jahre, das Millionenleichenfeld, den Niedergang der Kultur, die Armut und das Siechtum, das auf Jahrzehnte gesicherte Elend! Dornenstiche! Merk’s, deutsches Volk.

Kann ein solcher Mann die Politik Deutschlands in der ernstesten Stunde der Weltgeschichte vertreten?