Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 29. November.

König Albert ist vor einigen Tagen unter frenetischem Jubel in Brüssel eingezogen. In Straßburg zog, unter eben solchem Jubel, General Petain ein. Das ganze Elsaß-Lothringen ist besetzt, die Grenze von 1870 wieder hergestellt. Der Frankfurter Vertrag ist revidiert. Ein Stück Geschichte spielt sich hier ab, das zu erleben wir, die wir unter dem Druck der Ereignisse von 1870/71 unser Dasein verbrachten, niemals geahnt hatten. Die elsaß-lothringische Frage, deren Existenz die deutsche Staatsweisheit bestritt, ist hoffentlich für immer erledigt. Es darf keine deutsche Revanchestimmung geben. Mögen die Elsaß-Lothringer zum größten Teil Deutsche sein, sie konnten sich in ihrer Mehrheit in einem halben Jahrhundert zum Reich nicht hingezogen fühlen. Sie wollten mit Frankreich leben. Das bedarf keines Beweises. Man lasse diesen Streit nun ruhen. Für immer ruhen. Er hat genug Blut gekostet. Nur sorge man dafür, dass uns der kommende Friedenschluss nicht neue Elsaß-Lothringen schaffe. Was die Italiener in den deutschen Gebieten Süd-Tirols, die Tschechen in den Distrikten Deutsch-Böhmens, die Polen in Ostgalizien und in Westpreußen Vorhaben, wird nichts anderes gebären als den gleichen hasserfüllten Streit, der wegen der beiden unseligen Provinzen hervorgerufen wurde; nur vervielfacht. Wehe uns, wenn es so geschieht! Wehe uns, wenn nach diesem, alle Lebenskraft versengenden Krieg, ein Friede zustande kommt, der abermals nur die Gewalt entscheiden lässt und Unterjochungen schafft, der wieder, ohne Rücksicht auf die Völker, auf ihre nationalen Aspirationen militärisch-kretinhafte «strategische Gesichtspunkte» oder vermoderte historische Ansprüche gelten lässt. Kann solches Verbrechen sich nochmals ereignen? Kann nochmals der Geist mittelalterlicher Einrichtungen die Forderungen des pulsierenden Lebens zu unterdrücken suchen?

Ich kann es nicht glauben. Ich erhoffe die Rettung von den Amerikanern, von der Selbstbesinnung der alten Demokratien in Frankreich und England. Ich erhoffe es. Aber . . .