Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 3. September.

Seit meinen letzten Eintragungen wieder zwei neue Kriegserklärungen: Die der Türkei und Bulgariens an Rumänien.

Aus Griechenland kommen Nachrichten, die von einer revolutionären Bewegung sprechen zugunsten eines Anschlusses des Landes an die Entente. Es kann also eines schönen Morgens auch dort der Eintritt in den Krieg gemeldet werden. Die Rumänen, die sich — genau wie unsere Alldeutschen sich dessen von Deutschland rühmen, — den Zeitpunkt ihres Eintritts in den Krieg «wählen» konnten, sind wohl vorbereitet in der Stunde der Kriegserklärung über die Grenze marschiert und haben bereits ungarischen Boden besetzt, darunter die Hauptstädte Siebenbürgens, Hermannstadt und Kronstadt.

Der Fall Rumänien ist überhaupt ein wundersamer Spiegel für unsere Alldeutschen und Kriegsmacher. Alles, was diese jetzt dem Balkanstaat zum Vorwurf machen, haben sie selbst vertreten. Sie schmähen die rumänische Regierung und übersehen, dass sie die Gelehrigkeit des Schülers verurteilen, der auf des Meisters Worte schwört. Rumänien hat, als es den Krieg erklärte, einen Vertrag gebrochen, der es langjährig mit den Zentralmächten verband. Wer hat eifriger den Grundsatz vertreten, dass Verträge nur so lange zu halten sind, als die Umstände obwalten, unter denen sie geschaffen wurden, dass sie niemals eine Fessel für die Entwicklung des vertragschliessenden Landes werden dürfen? Wer anders als unsere Alldeutschen? Erst kürzlich fiel mir ein Aufsatz der famosen Wiener «Sonn- und Montags-Zeitung» vom Februar 1910 in die Hände, wo die ehrlichen und prophetischen Worte enthalten waren: «Die Machtfragen auf dem Balkan sind nicht durch Verträge, sondern nur durch die Schlagfertigkeit der Armeen zu lösen. Verträge können nur hindern, im richtigen Augenblick das Schwert zu ziehen, und daher verursachen, dass die wertvollste Chance verloren geht . . .» Solche Zitate Hessen sich in Unmenge zusammenstellen. Es ist die Lehre Treitschkes und Bernhardis, die die Rumänen befolgt haben, und es mutet sonderbar an, wenn diese Handlungsweise jetzt in der amtlichen Antwortnote des k. u. k. Ministeriums des Äussern auf die rumänische Kriegserklärung gekennzeichnet wird als «das deutliche Gepräge des nur von einer Tünche europäischer Kultur überdeckten transkarpathischen Bojarentums ». (Die Erfindung dieses Ausdrucks muss Mühe gemacht haben. Balkantum durfte man wegen des bulgarischen Verbündeten nicht sagen!)

Man höre doch nur auf, von europäischer Kultur zu sprechen!

Als Rumänien im Bunde mit Deutschland und Österreich-Ungarn im Haag alle Versuche der andern Mächte, zu einer zwischenstaatlichen Organisation und zur Schwächung des Gewaltsystems zu gelangen, ablehnte, galt es als unser teurer Bundesgenosse. Es ist eine seltene Ironie des Schicksals, dass gerade Herr v. Beldiman, der Hauptverächter und Gegner des Haager Werks und persona gratissima in Berlin, nunmehr das Opfer der Konsequenz seiner eigenen Handlungen geworden ist und als feindlicher Gesandter seine Pässe zugestellt erhielt.

Hoffentlich werden unsere Gewaltanbeter und Ordnungswächter jetzt an dem Gebaren der Andern erkennen, wie not es tut, mit diesen gefährlichen Grundsätzen zu brechen, die auch einmal schmerzhaft für das eigene Fleisch werden können.