Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 12. Juli.

Also — das erlösende Wort, es ist gesprochen worden:Wir geben Belgien frei! So sollte man meinen. Aber welcher Irrtum!

Diese Erklärung über Belgien reicht wohl aus, die Linke des deutschen Reichstags zu beruhigen, Herrn Scheidemann und seinen Leuten als Rechtfertigung für die abermalige Bewilligung der Kriegskredite zu dienen, aber nicht, um den Wellkonflikt zu beendigen.

Der Reichskanzler hat zwar gesagt: «Wir beabsichtigen nicht, Belgien In irgendeiner Form zu behalten.» Er will aber das in seiner Neutralität garantiert gewesene Land, das der Garant überfallen und vergewaltigt hat, weiter als «Faustpfand» betrachten. Als Faustpfand, das er herausgeben will, «wenn die Verhandlungen zu einem günstigen Resultat geführt haben». Zu dem Begriff des «günstigen Resultats» gehört, dass die Welt den von Deutschland geführten Krieg als einen «Verteidigungskrieg» ansieht, und das es «die notwendige Sicherung für künftige schwierige Verhältnisse» erhalte.

Die Menschheit außerhalb der preußisch-germanisch-militärischen Weltanschauung sieht «die notwendige Sicherung für künftige schwierige Verhältnisse» in der Herstellung einer Staatengesellschaft der Völker und erachtet als Grundlagen dieser Staatengesellschaft die Wiederherstellung von Treu und Glauben im internationalen Verkehr, dazu ist es notwendig, dass betreffs Belgien, das am 4. August 1914 gesprochene Wort vom Unrecht, das wieder gut gemacht werden muss, verwirklicht werde.

Die Erklärung über Belgien vom 12. Juli soll die sehr gläubige Linke über die erneute Veralldeutschung und Vermilitarisierung der Regierung hinwegtäuschen, sie wird bei den Gegnern die Zuversicht für die Möglichkeit eines Verständigungsfriedens nicht erwecken.

Es bleibt bei dem Rutsch zum Abgrund!