Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 16. Februar.

Die Vertreter der Ford-Expedition haben hier in der breiten Öffentlichkeit grossen Erfolg gehabt. Der Berner Vortrag war überfüllt und muss morgen wiederholt werden, der gestern stattgehabte Genfer Vortrag soll an Teilnehmerzahl und Zustimmung den in Bern abgehaltenen noch übertroffen haben. Das ist ein grosser Erfolg, wenn man bedenkt, wie methodisch nachdrücklich, voll des heiligsten Eifers, die europäische Presse das Ford-Unternehmen lächerlich zu machen versucht hat. Man könnte daraus den Schluss ziehen, dass die öffentliche Meinung Europas durch die Zeitungen vielleicht doch nicht in dem Masse beeinflusst wird, wie man es befürchtet. Unter der verzerrten Maske der Presse brennt vielleicht stärker als je ein gesundes Zielbewusstsein und ein mächtiger Friedenswille, Kräfte, die eines Tages überraschend an die Oberfläche gelangen werden.

Es ist dem Sekretär des Ford-Unternehmens, Mr. Lochner wie seinem Kollegen Mr. Evans leicht geworden, die blöden Entstellungen, Witze und Verdächtigungen der Zeitungsschmierer beider Welten zu entkräften und Mr. Fords wahre Absichten darzulegen. Und diese auf eine vernünftige Abkürzung des gegenwärtigen Kriegs und eine Ächtung des Kriegs überhaupt hinzielenden Absichten erhielten überall den Beifall der Menge. Über die Methode zur Erreichung dieser Ziele herrscht wohl noch Unklarheit; sie sind vielleicht auch von gewissen dilettantischen Strömungen beeinflusst, aber es ist der ehrliche Wille der Friedenskämpfer, der ihnen den Beifall der Völker einträgt, jener jeder persönlichen Eitelkeit fernliegende, nur aus dem innigsten Trieb der Menschenliebe entstandene Wille. Dieser einfache Amerikaner Ford, der vom schlichten Arbeiter ein Multimillionär geworden, einfach aus dem Ergebnis seiner geschäftlichen Grundsätze heraus, die ihm das Wohl seiner Arbeiter wie das seiner Abnehmer in erste Linie stellen liessen, der — reich geworden — sich sagt, dass er nicht Besitzer sondern nur Verwalter des ihm zugefallenen Vermögens ist, das er zum Wohl der Menschheit zu verwenden sich verpflichtet fühlt, das ist der Mann, wie ihn Bertha von Suttner für die Friedensbewegung vorgeahnt und in ihren letzten Lebensjahren auch gesucht hat. Das Phantasiebild dieses von ihr ersehnten Mannes hat sie in ihrem Mr. Toker, dem Helden ihres letzten Romans «Der Menschheit Hochgedanken», dichterisch zu gestalten gesucht. Es schwebte ihr vor, auf ihrer 1912 unternommenen Amerikareise, die sie «als die letzte Anstrengung meiner ihrem Ende nahenden Laufbahn» bezeichnete, und wo sie den erleuchteten Multimillionär zu finden hoffte, der die Sache des Pazifismus verstehen und ihm seine Kräfte widmen sollte für die europäische Riesenarbeit zur Bekämpfung des drohenden, und in seiner Bedrohung von niemandem so deutlich als von der Suttner erkannten Weltkriegs. Sie fand Ford nicht, hätte vielleicht 1912 bei ihm das Verständnis für ihre Forderungen noch nicht gefunden, wie er es 1915 durch die eindrucksvolle Lehre der Ereignisse besessen haben muss, als Rosika Schwimmer in sein Arbeitskabinett trat. Bertha von Suttner trat damals vor Pierpont Morgan hin. Sie schrieb mir über ihren Besuch bei dem berühmten Milliardär:

«Mein Zweck war, ihn zu bewegen, für einen Pressefonds zugunsten der Friedenssache einen Beitrag zu spenden. Mr. Morgan, der eben damit beschäftigt ist, auf seine Kosten Pompeji ausgraben zu lassen, antwortete, dass er sich für die Friedensbewegung keineswegs interessiere und nichts dafür tun könne. Auch eine Erfahrung. Bis auf Ginn und Carnegie ist die amerikanische Millionärswelt dem Pazifismus noch unerschlossen!»

Noch! — Darin lag etwas wie prophetischer Blick. Es ist schade, dass Bertha von Suttner Ford nicht erlebt hat. jenen Mann nicht, der es ablehnt, nur mildtätig zu sein, weil er dem Elend durch die Beseitigung des Kriegs an die Wurzel gehen will. Das erinnert mich an jenen Wiener Millionär, Baron Haas von Teichen, an den sich Bertha von Suttner 1899 um Mittel gewandt hatte, um die Ideen der ersten Haager Konferenz propagieren zu können. Dieser Baron rühmte sich dann 1915 — mitten im Weltkrieg — seiner Klugheit, indem er das 1899 an die Suttner gerichtete Schreiben in einem Wiener Blatt veröffentlichte: «Ich bin für den Frieden begeistert, kann mich aber für die Arbeit, den Krieg aus der Welt zu schaffen nicht erwärmen, weil sie mir als eine absolut nutzlose erscheint ...» (Sieh die Eintragungen dieses Tagebuchs vom 18. Januar 1915).