Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 4. Juni.

Die Seeschlacht am Skagerrak wird in den Zeitungen als eine der bedeutendsten der Weltgeschichte bezeichnet. Warum, das ist dem Laien nicht klar. Es fehlt der Einblick in die Wirkung auf den Ausgang des Kriegs. Vielmehr hat es den Anschein, als ob sich dieser Erfolg zur See in dieser Hinsicht den bisherigen Erfolgen zu Lande anschliesst. Es war ein Erfolg, jedoch keine Entscheidung. Und wenn man in Betracht zieht, dass die Erfolge zu Lande wenigstens ein greifbares Ergebnis hinterlassen, das neubesetzte Gebiet, so fehlt dies bei der Seeschlacht vollständig. Das Ergebnis liegt einzig in der Verminderung der Kampfstärke Englands um eine Anzahl Schiffe. Dass diese Verminderung aber irgendwie entscheidend sein könnte, oder dass man gar von einer Vernichtung der Hauptkraft Englands sprechen dürfe, das wagen auch die Fachleute nicht zu behaupten. Persius weist im «Berliner Tageblatt» (2. Juni) darauf hin. Er sagt: «Immerhin bedeutet dieser Verlust in Anbetracht der grossen Zahl noch kampfbereiten Materials wenig. Die nun vernichteten drei Großschlachtschiffe ... stellen noch keinen entscheidenden Faktor dar». Es war nach Persius «lediglich ein empfindlicher Schlag». Für die deutsche Flotte war es sicherlich mehr. Die kleinere und jüngere Flotte vermochte der grösseren und älteren, grössere und empfindliche Verluste beizubringen. Das ist ein Triumph für die Flotte, ein grosser moralischer Erfolg. Aber wie einst ein österreichischer Finanzmann in einem gegen ihn angestrengten Prozess wegen Lieferung minderwertigen Materials bei einem Eisenbahnbau bezeichnend sagte «mit Moral kenn man keine Eisenbahnen bauen», so drängt sich dem aufmerksamen Beobachter der Vorgänge dieses Kriegs die Bemerkung auf, dass man mit moralischen Erfolgen keinen Krieg entscheidet. Wir kommen aus den moralischen Erfolgen gar nicht heraus, aber das Ende des Kriegs zieht sich immer weiter hin. Es gewinnt immer mehr den Anschein, als ob der Krieg nur mehr nach dem Muster des l’art pour l’art, nur um des Kriegs willen geführt wird, das heisst, um den Militärs Gelegenheit zu geben, sich auszuzeichnen, Ruhmestaten für einzelne Waffengattungen, bestimmte Heeresteile oder bestimmte Heerführer zu sammeln. Es hat den Anschein, als ob man in jenen Kreisen die einmal vorhandene Konjunktur recht ausnützen wollte, in der berechtigten Ansicht, dass sich der lebenden Generation sobald nicht wieder eine solche Gelegenheit bieten dürfte. Dem Volke werden alle diese Unternehmungen als unbedingt notwendig dargestellt, als bedeutungsvolle Ergebnisse suggeriert. Das bewirkt schon das gegenseitige Beglückwünschen, das anbefohlene Flaggen in den Städten, die angeordneten Schulferien. Von den Kosten dieser Unternehmungen und dem Verhältnis dieser Kosten zu dem Ergebnis ist nie die Rede. Bei dem Seesieg von Skagerrak werden nur die Tonnen gezählt, die vernichtet wurden. 102.980 englische Tonnen gegen nur 13.200 deutsche (bloss die Linienschiffe und grossen Kreuzer gerechnet). Von den Menschen, die dabei elend vernichtet wurden, ist nicht die Rede. Oder nur so: «Die Stimmung aller Mannschaften war während des ganzen Kampfes vorzüglich», wie der Chef des Ädmiralstabs bei seiner Mitteilung über die Seeschlacht im Reichstag sich ausdrückte. — Vorzüglich! — So ist auch von den Opfern bei Verdun keine Rede, die nun seit über 100 Tagen auf beiden Seiten in unerhörter Weise fallen, nicht die Rede bei den Berichten über die österreichische Offensive in Italien. Es wird uns von dieser Aktion genau berichtet, was sie eingebracht, aber nicht, was sie gekostet hat. Man resumiert: 250 Quadratmeter feindlichen Gebiets, ein Dutzend erstürmter Panzerwerke, Kanonen, Maschinengewehre, Gefangene usw. Aber, was kostet es? Steht das Ergebnis im Einklang zu den Opfern? Die Beantwortung dieser Frage wird leider erst sehr spät gegeben werden.

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Die Rede Wilsons vom 28. Mai in der Versammlung der «League to enforce Peace» liegt jetzt in einem etwas klareren und ausführlicheren Auszug vor. Sie ist so sehr pazifistisch, dass es nicht wunder nimmt, wenn die Kanonengläubigen und Kilometerfresser sie als das «Wolkenkuckucksheim einer internationalen Kulturpolitik» bezeichnen. Es ist ja für jene schrecklich, wenn hier die Grundlagen eines dauernden Friedens an die Wand gemalt werden.

Fürchterlich zu Mute muss ihnen sein, wenn Wilson sagt:

«Es ist klar, dass dieser Krieg nur so kommen konnte, wie er gekommen ist; plötzlich und aus geheimen Beratungen heraus, ohne Mitteilung an die Welt, ohne Erörterungen, ohne irgendeine jener bedachtsamen Beratungen, mit denen es natürlich scheinen könnte, an ein so furchtbares Ringen heranzutreten. Es ist wahrscheinlich, dass, wenn gerade das, was sich ereignet hat, hätte vorhergesehen werden können, welche Bündnisse sich bilden würden, welche Kräfte gegeneinander aufgeboten werden würden, dass dann diejenigen, welche den grossen Kampf heraufbeschworen haben, froh gewesen wären, an Stelle der Gewalt eine Konferenz treten zu lassen».

Schrecklich, nach Ansicht unserer Militärgläubigen wäre es, wenn zur Vermeidung solchen Übels hinfort eine neue und bessere Diplomatie gefordert werden müsse.

Schrecklich, nicht wahr, wenn er ihnen weiter auseinandersetzt:

«Die wiederholten Äusserungen der führenden Staatsmänner der meisten grossen, jetzt im Krieg befindlichen Nationen haben darauf schliessen lassen, dass ihnen der Gedanke gekommen ist, dass der Grundsatz des Völkerrechts künftig den Vorrang haben müsse vor den individuellen Interessen der einzelnen Nationen, und dass die Nationen der Welt sich irgendwie zusammenschliessen müssten, um darauf zu sehen, dass dieses Recht gegen jede Art selbstsüchtigen Angriffs aufrechterhalten werde, dass künftig nicht Bündnis gegen Bündnis, Verständigung gegen Verständigung errichtet werde, sondern dass ein allgemeines Einvernehmen für die gemeinsame Sache bestehen muss, und dass der Kern der gemeinsamen Sache, die unverletzbare Aufrechterhaltung der Rechte der Völker und der Menscheit sein muss. Die Nationen der Welt sind einander Nachbarn geworden, um sich miteinander zu verständigen. Es ist eine gebieterische Notwendigkeit, dass sie sich dahin einigen, in gemeinsamer Angelegenheit zusammenzuarbeiten, und dass sie so handeln, dass der leitende Grundsatz dieser gemeinsamen Sache völlig unparteiische Gerechtigkeit sei. Das ist zweifellos die Meinung Amerikas, und es ist das, was wir selbst aussprechen werden, wenn die geeignete Gelegenheit dazu kommt. Im Verkehr der Nationen untereinander muss willkürliche Gewalt entfernt werden, und wir müssen dem Denken der modernen Welt den Gedanken nahebringen, dessen wahre Atmosphäre Frieden ist, jenen Gedanken an Vereinbarungen, der den Hauptteil der leidenschaftlichen Überzeugung Amerikas bildet».

Schrecklich! Das ist ja der leibhaftige pazifistische Gottseibeiuns! Kein Wunder, wenn die gesamte Blut- und Eisenkohorte, die Landfresser, Kanonen- und Panzerplattenlieferanten, die «Feste-druff»-Apostel von Wilson als Friedensvermittler nichts wissen wollen und ihn mit allen Mitteln zu diskreditieren suchen.

Immer mehr werden diese beiden extremen Weltanschauungen aufeinanderplatzen, und es wird sich zeigen, welche irden und welche von Eisen ist.

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