Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 26. Februar.

Ich vernachlässige das Tagebuch. Es gibt der Ereignisse genug, die hier glossiert werden sollten. Aber eine gewisse Müdigkeit befällt mich angesichts der Uferlosigkeit des Kriegs. Der Krieg geht ja tatsächlich weiter trotz Waffenstillstand, trotz der Friedenskonferenz in Paris. Das zermalmte Deutschland windet sich in den Blutkrämpfen des Bürgerkriegs. Was in München, im übrigen Bevern vorgeht, weiß man nicht recht. Heute wurde Eisner zu Grabe getragen. Mit ihm eine Hoffnung von Millionen. Denn trotz aller Fehler und Missgriffe, er war ein Kämpfer für die Befreiung der Menschheit, ein Kämpfer sein ganzes Leben lang, ein Ehrlicher, ein Treuer, der gewusst hat, was dem deutschen Volk heute ziemt, wenn er vielleicht aus Weltfremdheit in diesen Zeiten höchster Erregung und verzweifelten Wirrwarrs nicht immer die richtige Entscheidung fand. Wie bei Jaurès zu Anfang dieses Kriegs hat ein verliebter Mörder kaltblütig ein der Menschheit wertvolles Menschenleben vernichtet. Und mit ihm so viele andere. Und wie in München blüht der Bürgerkrieg in Augsburg und

Nürnberg, in Düsseldorf, im Rhein- und Ruhrgebiet. Der Krieg geht weiter. Ob die Diplomaten an der Seine sich dessen freuen? Sie sind so wenig ihrer Aufgabe gewachsen, dass es wohl möglich ist, dass sie in bornierter Verblendung in diesem Nachkrieg noch ihren eigenen Triumph erblicken statt das warnende Menetekel für ihre eigenen Länder und Völker. Wollen sie wirklich Deutschland durch die von ihnen geübte sorgfältige Pflege seiner innern Zerrüttung für immer oder lange kampfunfähig machen? Wollen sie auf dieser blutigen Grundlage den Völkerbund errichten? Das reicht wohl für eine Farce des Völkerbunds, für jene Schöpfung aber, an die die Freunde der Menschheit denken, ist es das Grab.

Freilich, die Deutschen machen es jenen unmodernen Männern auf der Pariser Friedenskonferenz leicht. Die deutsche Nationalversammlung beschäftigt sich mit der Schaffung einer neuen Armee. Sie soll nur höchstens die Stärke eines Drittels der frühem stehenden deutschen Armee besitzen, verkündet tröstend der Heeresminister. Ein Drittel! Jetzt! Wieviel Millionen Mann können es in zehn Jahren sein? Mit dieser als Lappalie hingestellten Wehrmacht beginnt der ruinöse Wettlauf der Vorkriegszeit, geht der Weg zum Ruin weiter. Wo soll das hin? Und just an dem Tag, an dem dieser Wahnsinn Gestalt annimmt, wendet sich Ludendorff vertrauensvoll an den Reichspräsidenten Ebert mit der Mitteilung, dass er zurückkehre, um sich dem Volk zur Verfügung zu stellen. Es mag Zufall sein, aber wer wird die von einer Panik erfassten Franzosen daran hindern, zu glauben, dass Ludendorff zurückberufen wurde, um die künftige deutsche Armee zu reorganisieren? Es gibt in Deutschland noch keinen Minister für Erweckung des Vertrauens in der Welt. Dieses Amt müsste geschaffen werden, es ist nötiger als alle andern Reichsämter, und der Verweser dieses Reichsamtes müsste dafür sorgen, dass solche Vorkommnisse wie Armeegründung und Ludendorffs Rückkehr nicht zusammenfallen, wenn sie sich überhaupt ereignen müssen.