Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 6. Januar.

«Es scheint mir an der Zeit, den Internationalismus der Sozialdemokratie mit positiven Einsichten zu erfüllen und zu positiven Zielen der internationalen Rechtsordnung hinzuleiten. Gerade das müsste ihre besondere Sendung sein. Sie vor allem muss der brutalen Verwilderung des Völkerrechts mit allen ihren moralischen Machtmitteln entgegenarbeiten und wird so am wirksamsten dem künftigen Friedenswerk vorarbeiten».

So schliesst Karl Renner einen völkerrechtlichen Aufsatz «Freie Meere und offene Tür» betitelt, in der Wiener «Arbeiterzeitung» vom 4. Januar.

Das ist es, was wir Pazifisten schon längst ersehnten. Die Sozialdemokratie hatte für unsere positive Arbeit an der Festigung und dem Ausbau der zwischenstaatlichen Organisation kein Verständnis. Sie lächelte ob unserer Propaganda, ob unserer Kongresse, sie beteiligte sich nicht an den Arbeiten der Interparlamentarischen Union und widmete den Vorgängen auf den Haager Konferenzen keine Aufmerksamkeit. Bei allen diesen Arbeiten handelte es sich um die Förderung positiver Ziele der «internationalen Rechtsordnung.» Das wird nun künftig hoffentlich anders werden. Wir werden bei unserer Arbeit im Bunde stehen mit der grossen Volkspartei und werden dabei um so eher die Halben des Geheimratspazifismus vermissen können.