Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 13. Mai.

Sie haben das Eiserne Kreuz erhalten, die Schilderer und Rechtfertiger der militärischen Notwendigkeiten des Rückzugs an der Aisne, die Herren Rosner, Kalkschmidt, Queri, deren Schilderungen ich hier am 21. und 24. März besprach.

Sie haben aber Pech gehabt, dass sie es gerade jetzt erhielten, wo durch öffentliche Erörterungen im Reichstag der Wert dieser Auszeichnung stark beeinträchtigt wurde.

Dass es Leute gibt, die an ein Fortbestehen des bisherigen Kriegssystems glauben und der Meinung leben, dass nach Beendigung dieser Katastrophe die Hetze und das Rüsten für einen neuen Krieg wieder einsetzen wird, darf niemand wundern. Diese Leute werden erst verschwinden, bis die Generation, die vor dem Krieg die politische Geschichte machte und in den Ideen dieser Zeit groß wurde, ausgestorben sein wird. Wir werden uns begnügen, zu sehen, dass sie nachher nicht mehr das willige Echo im Volk finden werden. Dass es aber noch immer Leute gibt, die die Taktlosigkeit besitzen, schon heute, inmitten dieses blutenden Elends, von der Fortdauer des Kriegs, von dem «nächsten Krieg» zu faseln, und dass es Zeitungen gibt, die schamlos genug sind, in diesen trüben Stunden der allgemeinen Friedenssehnsucht dieses Gefasel zu veröffentlichen, das ist das Unfassbare.

Vor mir liegt der als Leitartikel gedruckte Aufsatz des (roten) «Tag» vom 5. Mai. Er betitelt sich neckisch «Aus dem Land Utopien» und stammt aus der Feder eines Staatsministers a. D. Dr. v. Borries. Ich weiß nicht, in welchem Staat dieser Minister sein Amt ausübte, hoffe jedoch, dass er in seinem Ressort mehr Klugheit besessen haben mag, als auf dem Gebiet der internationalen Politik, über das er sich jetzt im «Tag» äußert. Nach ihm wird der Krieg niemals aufhören. Es gebe aber gefährliche Idealisten, die dieser Meinung sind.

«Der schöne Traum vom ewigen Frieden wird wieder einmal geträumt. Die Völker und die Menschen legen die unangenehmen Eigenschaften ab, die ihnen leider seit mindestens fünftausend Jahren, vielleicht auch länger, anhaften. Das goldne Zeitalter wird anbrechen, wo unter der Oberleitung eines internationalen Aeropags alle Streitpunkte unter den Völkern schiedlich-friedlich verglichen werden; die allgemeine Verbrüderung hebt an; droht einer zu fallen, führt Liebe ihn zur Pflicht. So das Wahngebilde aus dem Land Utopien.»

Nein, Herr Minister, so sieht das Wahngebilde nur in Ihrem Kopf aus. Sie klecksen Neuruppiner Bilderbogen und glauben, ein Raphael zu sein. Sie suchen die Unhaltbarkeit dieser Wahngebilde zu beweisen. So lehren Sie:

«Der Charakter der Völker und Menschen wird sich in den kommenden Jahrhunderten so wenig ändern, wie er sich in vergangenen geändert hat, d. h., der Egoismus wird immer die stärkste Triebfeder bleiben und insbesondere im Leben der Völker nur da seine Grenze finden wollen, wo nicht eigenes, sittliches Empfinden, sondern fremde Macht ihm ein Halt zuruft.»

Olle Kamellen, Herr Minister! Trotzdem sich nach Ihrer Ansicht der Charakter der Völker und Menschen auch in den vergangenen Jahrhunderten nicht geändert hat, hat doch der Krieg, das werden Sie nicht bestreiten können, an Möglichkeit stark verloren. Die Menschen haben sich doch bereits zu ungeheuren Gemeinschaften vereinigt, die den Krieg unter sich ausgeschaltet haben, wie z. B. die Bundesstaaten des Deutschen Reichs, die Kantone der Schweiz, das englische Imperium, die Vereinigten Staaten von Amerika usw. Wie aber, wenn der Egoismus die Menschen eines Tags doch dazu führen sollte, in der Überwindung des Völkerkriegs, dessen Wahnsinn sie jetzt endlich erkannt haben dürften, ihre Befriedigung zu finden. Sie glauben noch immer die alte Mähr, dass die Menschen erst Engel werden müssen, um sich nicht mehr zu bekriegen, während wir Pazifisten stets dargelegt haben, dass sie nur kluge Egoisten werden müssten, um sich von dieser Plage zu befreien.

Die Utopisten, und zwar die gefährlichsten, die die Welt je gesehen hat, sind heute nicht die Friedenstechniker, sondern die Drescher der Phrase vom «Ewigen Krieg». Sie haben dieses Weltunheil verschuldet, sie hindern sein Ende und sie suchen schon heute, die Welt abermals in ein solches Unheil zu stürzen.