Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 11. April.

Über die Reinheit des Mittels machten sich die Vertreter des alten Regimes wenig Sorgen. Es war der Zweck, der ihnen jedes Mittel heiligte. Einen tiefen Einblick in diese Methode gewährt die von der «Freiheit» veröffentlichte Denkschrift des Generalmajors Grafen Schulenburg über die Vorgänge bei der Abdankung des Kaisers am 9. November vorigen Jahres. Der General widersetzte sich der von andern Persönlichkeiten des Großen Hauptquartiers vertretenen Ansicht, dass die Verhältnisse im Heer und die Ereignisse in der Heimat die Abdankung des Kaisers notwendig erscheinen lassen. Er riet zu energischem Vorgehen gegen Städte, in denen Auflehnung vorgekommen, wie Verviers, Aachen, Köln u. zw. mit «modernen Kampfmitteln ausgerüstet (Nebel, Gas, Bombengeschwader, Flammenwerfer)». Gemütsmensch also! Durch die Anwendung solch vernichtender Mittel hoffte er die «Autorität der Obrigkeit» wiederherzustellen. Und er fügte hinzu:

«Voraussetzung hierfür ist eine richtige Parole. Unter unseren Leuten wird die Parole unter allen Umständen ziehen, dass ihre Schwesterwaffe, die Marine, mit jüdischen Kriegsgewinnlern und Drückebergern ihnen in den Rücken gefallen sei und dem Heer die Verpflegung sperre!»

Die Hauptsache ist also «richtige» Parole. Einerlei, ob sie Wahrheit besagt oder Lüge enthält. Der sittliche Inhalt ist Nebensache. Zugkräftig muss die Parole sein, denn es handelt sich doch um die Aufrechterhaltung der eigenen Macht. Jüdische Kriegsgewinnler und Drückeberger, was gibt es Besseres, um die Instinkte der Masse aufzupeitschen. Man muss nur die Kunst des Lancierens verstehen. Der Zweck heiligt das Mittel. So arbeitete die deutsche Politik, so arbeitete der deutsche Militarismus. Genau so hatte man für das ungeheure Unternehmen des Weltkriegs Parolen ausgegeben, die «ziehen» mussten. So die Parole vom «ruchlosen Überfall», dann die Parole von jenem Belgien, das schon vorher seine Neutralität gebrochen hatte. Als man nach zweieinhalb Jahren Krieg eine neue Aufpeitschung der Massen brauchte, lancierte man die Parole vom «hochherzigen Friedensangebot», das die Feinde «schnöde» abgelehnt haben. Und so fort. Auf die Wahrheit kam es dabei gar nicht an, nur auf die Beeinflussung der Massen und die Möglichkeit, sie willfähig zu machen im Dienst der Machtinteressen einer Clique. Das muss man sich merken. Nebel, Gas, Bombengeschwader, Flammenwerfer aufs Volk und eine «zugkräftige Parole» für jene, die die Vernichtung ausüben müssen. So schafft man es mit Gott!