Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 21. Juli.

Dass die deutsche Offensive misslungen ist, wird jetzt sogar in den deutschen Zeitungen zugegeben. Nur das die französisch-amerikanische Gegenoffensive ein Erfolg sei, wird bestritten. Sie wäre «zusammengebrochen». Aber die Franzosen und Amerikaner melden, dass sie bei diesem Vorstob 17 000 Gefangene gemacht haben. In Newyork läuten die Glocken. Regie à la prussienne? Und heute gibt das deutsche Bulletin die Räumung des linken Marneufers zu. In dem bekannten Stil, als ob man es nur mit lauter Trotteln zu tun hätte.

«in der Nacht nahmen wir unsre südlich der Marne stehenden Truppen, vom Feinde unbemerkt, auf das nördliche Flussufer zurück.»

Vom Feinde unbemerkt! Als ob dadurch ein Rückzug zu einem Sieg würde. Gleichzeitig werden die

«schwersten Verluste des Feindes» gemeldet. Von den eigenen schweigt man.

Die Eröffnung des österreichischen Parlaments hat wieder einmal ein grelles Scheinwerferlicht auf das unglückliche Österreich geworfen. Das Parlament wurde eröffnet, aber die Mehrheit ist gegen die Regierung, und die Regierung bleibt. Dr. Seidler will der slawischen Mehrheit zum Trotz deutsch regieren. «Das deutsche Volk ist nun einmal das Rückgrat dieses vielgestaltigen Staates und wird es bleiben.» Man könne in Österreich nicht ohne und nicht gegen die Deutschen regieren. Der Sozialdemokrat Ellenbogen erwiderte darauf:

«Dieser Satz ist richtig, um so richtiger, als kein Mensch in Österreich ihn bezweifelt. Worum es sich aber handelt, ist nicht, dass nicht ohne und nicht gegen die Deutschen in Österreich regiert werden darf, sondern es handelt sich darum, dass die Deutschen nur mit Polen, Tschechen und Slowenen zusammen auf Grund von freien Vereinbarungen einen Staatregieren, führen und neu aufbauen.»

Diese einfache und klare Weisheit wird in dem unglücklichen Land noch nicht begriffen, auch jetzt nicht, nach vier fürchterlichen Jahren des unseligen Kriegs.

Mit ebensolcher Vernunft sprach der polnische Sozialdemokrat Daszinsky: Er beschuldigte die deutschen Parteien, die ihre Blicke nach Berlin und nach dem deutschen Hauptquartier richten, als die zentrifugalen Kräfte und warnte vor der sogenannten Vertiefung des Bündnisses mit Deutschland, dessen Ergebnis sein muss,

«dass Österreich militärisch, politisch und wirtschaftlich vollständig seiner Selbständigkeit beraubt und zu einem Vasallenstaat Deutschlands heruntergedrückt werde».

Die Verrandstaatlichung Österreich-Ungarns! Ein Blinder, der das nicht einsieht ~ ~ Aber Graf Czernin,

der Brotfrieden-Schani von Brest-Litowsk, verkündet im Herrenhaus, dass wir «Gott sei Dank!» in der äußern Politik den deutschen Kurs steuern. Aber seine Rede ist nicht ohne Bedeutung. Er gibt die Unmöglichkeit eines Separatfriedens Österreich-Ungarns mit der Entente zu. Österreich-Ungarn könne nach einem solchen Separatfrieden nicht neutral sein, es müsste in einen Konflikt mit Deutschland kommen, und wir «tauschen diesen Krieg mit einem anderen aus». Das hat etwas für sich. Das ist wahr und sagt aber nur, dass die Möglichkeit einer Rettung heute kaum mehr gegeben ist. Österreich kann nicht mehr los, es kann aber den Krieg, den es für deutsche Machtziele führt, nicht so lange ertragen, als ihn Deutschland ertragen kann. Was nützt es, wenn Graf Czernin «von ganzem Herzen hofft», dass der österreichisch-ungarische Minister des Äußern die Kriegsziele Deutschlands kennt, «dass sie nach wie vor rein defensiver Natur» sind, und dass der Charakter des Verteidigungskriegs aufrechterhalten geblieben ist. Niemals würden es die Völker Österreichs verstehen, dass wir diesen schrecklichen Krieg für die Eroberungswünsche eines fremden Staates verlängern sollten. Wen betrügt man da? Der Eroberungskrieg Deutschlands ist doch eine Tatsache. Die Völker werden die Opfer Österreichs deshalb niemals verstehen, niemals billigen.