Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Locarno, 17, April.

Nachdem ich gestern diese Worte geschrieben, kam mir die Zeitung in die Hand, aus der ich erfuhr, dass die Ära Czernin der österreichisch-ungarischen auswärtigen Politik bereits vorüber war, als ich hier das Verlangen danach zum Ausdruck brachte. Graf Czernin, der flexible Pazifist, der Mann, der auch anders kann, hat seine Demission gegeben. Clémenceau, der traditionelle Ministerstürzer hat, wie Frau Dr. F. es vor einigen Tagen hier prophezeite, auch den Minister Österreich-Ungarns gestürzt, den Tschechen, Südslawen und Sozialisten des eignen Landes zu stürzen nicht vermochten.

Der Fliegerkönig Freiherr von Richthofen ist gefallen, nachdem er seinen achtzigsten Luftsieg erfochten. Das Wort vom Krug, der so lang zum Brunnen geht bis er bricht, erweist sich als abgeleiert gegenüber dem Schicksal aller Lufthelden. Sie siegen lange, manchmal sehr lange, aber sie entgehen dem grausamen Schicksal nicht. Man sollte ein Schutzgesetz gegen den Ehrgeiz jener jungen Leute erlassen, das ihr Leben sichert. Wer den fünfundzwanzigsten Luftsieg errungen, soll nicht mehr fliegen dürfen. Er soll zu einer Muse mit Würde gezwungen werden. So könnte man das Leben junger, tatkräftiger Menschen für künftige Wirksamkeit im Dienste des Volkes sparen.

Die Engländer melden, dass sie dem gefallenen Lufthelden ein feierliches Begräbnis bereiteten. Flieger-offiziere trugen jenen zu Grab, der achtzig der ihren zu Fall und zu Tod gebracht hat und unter zahlreichen Kränzen befand sich einer mit der Aufschrift «dem tapfern und würdigen Gegner». Widersinn des Krieges! Da gehen sie gegeneinander los, um sich wechselseitig das junge Leben auszublasen, und wenn sie tot sind, ehren sie einander wie wirkliche Menschen. Da fiel mir dieser Tage eine Äußerung Voltaires in die Hände. Er spricht von den Menschenfressern und meint, dass es doch kein so großer Unterschied sei, ob die in der Schlacht Erschlagenen von den Raben und Würmern oder ob sie, wie bei den Wilden, von den Siegenden selbst verzehrt werden. Das Töten sei das Verbrechen und nicht die nachfolgende Prozedur. Und daran anknüpfend sagt der weise Franzose «Wir respektieren die Toten mehr als die Lebenden. Es würde notwendig sein, beide zu respektieren.» Das erweist sich noch immer als wahr in diesem Krieg. Hunderttausende werden zerschmettert und bei den Leichenbegängnissen spielt man die gesitteten Europäer. Rückfall in die Kultur!