Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 7. November.

Die deutsche Delegation ist zum Abschluss eines Waffenstillstands und zur Aufnahme von Friedensverhandlungen von Berlin nach dem Westen abgereist.

Es beginnt also der anscheinend letzte Akt.

Eine Note Wilsons an die deutsche Regierung gewährt einige Hoffnung. Danach hat sich die Entente bereit erklärt, den Frieden mit Deutschland auf Grund der Wilsonpunkte abzuschließen. Nur bezüglich der Freiheit der Meere wurden Vorbehalte gemacht. Es ist also die Möglichkeit gegeben, dass der Friede nicht nur vom Gesichtspunkt der Rache geschlossen werden soll, sondern ein Friede werden kann, wie ihn der Völkerbundgedanke vorraussetzt.

Von dem Völkerbund war es, seitdem die Niederlage Deutschlands und seiner Verbündeten offenkundig wurde, beängstigend still geworden. Die Idee war mit einemmal bei der Entente aus der Erörterung verschwunden wie ein Konsumartikel nach behördlicher Festsetzung von Höchstpreisen. Jetzt, nachdem Wilson bei den Versailler Beratungen gesiegt hat, wird das Hauptproblem der Zeit, das von den militärischen Ideen etwas verdunkelt war, wieder in den Vordergrund treten.

Wenn erst der Waffenstillstand mit Deutschland abgeschlossen sein wird, dürften die Militärs und ihre Anschauungen verschwinden. Hoffentlich für immer verschwinden.

Der Waffenstillstand dürfte für Deutschland jetzt die einzige Rettung sein. Schon werden stark revolutionäre Bewegungen aus Kiel, Hamburg, Stuttgart gemeldet. Die rasch hintereinander folgenden Beruhigungserlässe der neuen Regierung an die Bevölkerung sprechen eine ernste Sprache. Was sich z. B. in Kiel ereignet hat, hätte man in Deutschland nie für möglich gehalten. Der Soldatenrat der Marine stellt seine Forderungen an den Gouverneur, die dieser annimmt. Gleichstellung der Mannschaften mit den Offizieren, Freigabe von Verhafteten, Straflosigkeit der Meuterer. Der Soldatenrat herrscht! Er holt die Standarte vom Schloss des Prinzen Heinrich, tötet auf dem Kriegsschiff «König» Offiziere, interniert den Gouverneur, empfängt, zur Aufrechterhaltung der Ordnung nachts herbeieilende, Wandsbecker Husaren mit Maschinengewehren, während von vier Bataillonen anderer Truppen, die zur Hilfe geholt wurden, drei sich den Meuterern anschließen. Das geschah nicht in Kronstadt, sondern in Kiel, im deutschen Kiel. So brennt denn die Revolution auch im Reich der Hohenzollern, in dem klassischen Militärstaat Preußen. Ihr Verbrecher der Kriegsmadie und des Welteroberungswahnsinns, ihr werdet an den Pazifisten Bloch denken, den ihr einst ausgelacht habt, weil er euch vorausgesagt hat, wie es kommen muss.

Nicht minder tragisch ist die Auflösung in Österreich. Die Truppen eilen in wildem Durcheinander nach Hause. Es fehlt an Nahrung, ein ganzes Volk ist am Verhungern, und in diesem Augenblick kommt das bisher verbündete Brudervolk, vorläufig aus Bayern, um den Krieg in das verhungerte Land zu tragen. Sie kommen als Freunde, verkündet der General; wenn ihr euch aber widersetzt, so machen wir von den Waffen Gebrauch. Vom Süden die Italiener, die bereits in das deutsche Bozen eingerückt sind, vom Norden die Stammesbrüder aus Bayern.

Und Wilhelm II. rührt sich nicht. Er hat den ihm wohl etwas ungemütlich gewordenen Aufenthalt im Berliner Schloss mit dem Hauptquartier vertauscht, wo es ja jetzt eigentlich nichts mehr zu tun gibt, wo er sich aber sicherer zu fühlen scheint als im Schloss seiner lieben Berliner. Er schickt den Truppen noch immer Danktelegramme dafür, dass sie sich weiter totschlagen und verstümmeln lassen, und lässt berufene und unberufene Personen und Verbände die Werbetrommel für die Hohenzollern rühren. Dieser Mann hat nie die Zeit verstanden. Er versteht sie auch heute nicht. Sonst wäre er schon längst, geräuschlos, in die Versenkung verschwunden. Er wartet, bis er eines Tages von Bürgern und Truppen aufgefordert wird, seiner «glorreichen Herrschaft» ein Ende zu machen. Dann wird es natürlich wieder einmal zu spät sein, und das deutsche Volk wird gleich den Abzug der gesamten Hohenzollerndynastie und aller anderen deutschen Dynastien fordern. Der Tag kommt. Er ist nicht mehr fern.