Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 12. November.

Zur Rede des Reichskanzlers schreibt der «Vorwärts»:

«Dem Gedanken der internationalen Schiedsgerichte, wie ihn Wilson und Grey ausgeführt haben, stimmt der Kanzler zu, und er findet in seiner Zustimmung so starke Töne der Überzeugung, dass man an seiner Aufrichtigkeit nicht zweifeln kann. Schlichtung aller internationalen Streitigkeiten auf schiedsgerichtlichem Weg, heisst es im sozialdemokratischen Parteiprogramm von 1891. Man lese nach, was ein deutscher Reichskanzler 25 Jahre später zur Begründung dieser sozialdemokratischen Forderung ausgeführt hat, die noch vor zwei Jahren als krasse Utopie galt. Trauriger Triumph! Die Völker mussten erst durch die Schule des Grauens gehen, bevor die Staatsmänner aller Länder — Grey wie Bethmann — lernten, sich für eine sozialdemokratische Forderung zu begeistern».

Die Sozialdemokratie hat manchen Anspruch, auf ihre Friedenspolitik stolz zu sein, den erwähnten Punkt des Erfurter Programms hätte sie doch nicht Vorbringen sollen. Er nahm in ihrer Aktion stets nur die Rolle eines würdigen Dekorationsstücks ein. Nie hat sie etwas getan, um diesen Programmpunkt zu verwirklichen, und wir hatten in unserm Kampf für das Haager Werk keinen stärkern Widersacher als die Sozialdemokratie. Auch heute scheint man in der Redaktion des «Vorwärts» noch nicht zu wissen, um was es sich bei dem Vorschlag Greys eigentlich handelt. Das Schiedsgericht spielt dabei nur eine nebensächliche Rolle. Wenn man es in den Vordergrund stellt, macht man es den Gegnern leicht, den Taft-Wilson-Grey-Bethmann-Plan zu diskreditieren. Etwas mehr pazifistische Sachkenntnis wäre nötiger als Urheberstolz.

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Am selben Tag, an dem Bethmann-Hollweg in Berlin sprach, hielt Asguith eine Rede am Lord Mayors-Tag. Wieder ein Eingehen auf die Vorgeschichte. Die Rede ist nicht von Bedeutung. Der zum Schluss ausgedrückte Wunsch nach Frieden, und nach einem Frieden, «der als sichere und feste Grundlage für die Sicherheit Europas und die freie Zukunft der Welt dienen kann», ist das Bedeutungsvollste. Dem gegenüber kann man jetzt die Worte des deutschen Kanzlers zitieren: «Das wollen auch wir».

Wenn General French bei der selben Gelegenheit angekündigt hat, dass der Höhepunkt des Kriegs erst im nächsten Frühjahr erreicht sein werde, so darf man diesem militärischen Gedankengang keine zu grosse Bedeutung beilegen. Es wäre ein Unglück für Europa und die Zukunft der Welt, wenn diese militärische Hoffnung in Erfüllung gehen sollte.

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Meine Eintragung vom 9. November bezüglich der Wahl Hughes muss ich berichtigen. Wilson gehalts wiedergewählt aus dem Wahlkampf hervor. Die Nachricht, dass Hughes gewählt sei, erwies sich als ein Bluff, auf den ganz Europa hineingefallen ist. Meine Befürchtung,

dass eine Friedensintervention vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten im März nicht möglich sei, erweist sich glücklicherweise als nicht bestehend. Vielleicht ist Wilson als der Erhalter des Friedens in Amerika gewählt worden und wird dann mit umso grösserem Anrecht der Friedensbringer in Europa sein können. Es heisst, dass die erstmalige Mitwirkung der Frauen bei einer Wahl, den Ausschlag für Wilson als Friedensbringer gegeben habe. Einen glänzenderen Erfolg kann sich die Fraünbewegung nicht wünschen.