Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 13. April.

Was ich hier am 7. April niederschrieb: «Es ist ja klar, dass Asquith gar nicht an das denkt, was der Kanzler ihm zuschreibt» hat Asquith am 11. April in seiner Ansprache an die französischen Parlamentarier selbst erklärt. Er teilte darin mit, dass der Satz «England werde das Schwert nicht eher in die Scheide stecken, bevor die Vorherrschaft Preussens ganz und endgültig gebrochen ist» vom Deutschen Reichskanzler missdeutet worden sei. England und Frankreich seien nicht in den Krieg eingetreten, um Deutschland zu erdrosseln, oder um es von der europäischen Karte zu tilgen oder um seine nationales Existenz zu zerstören oder zu verstümmeln, ebensowenig, um es an der Entfaltung seiner friedlichen Tätigkeit zu verhindern. «Sondern wir wurden gezwungen, in den Krieg einzutreten, um Deutschland, das in dieser Hinsicht Preussen bedeutet, zu verhindern, eine Stellung militärischer Bedrohung und Vorherrschaft über seine Nachbarn zu erlangen». Diese Stellung hat Deutschland nach der Ansicht des englischen Ministerpräsidenten im letzten Jahrzehnt angestrebt. Die Entente aber will nach Asquith durch diesen Krieg erreichen, dass die internationalen Probleme mittels freier Verhandlungen zwischen freien Völkern unter gleichen Bedingungen gelöst werden, und dass diese Lösung nicht mehr durchkreuzt und umgestossen werden könne durch «die anmassenden Forderungen einer von einer militärischen Kaste abhängigen Regierung». Das — nicht mehr und nicht weniger — verstehe er unter der Zerstörung der militärischen Vorherrschaft Preussens.

Kurz, England wünscht, das durch den Krieg zu erreichen, das mit England und den andern europäischen Mächten friedlich herzustellen, Deutschland unter dem Druck seiner militärischen Ultras sich stets geweigert hat: Eine europäische Organisation.

Das ist nun einmal versäumt worden. Darauf wird der Pazifismus zur Rechtfertigung seiner wahrhaft patriotischen Haltung und zur Stärkung seiner künftigen Stellung später noch oft zurückkommen. Für heute ist es wichtiger, festzustellen, dass aus den Worten Asquiths ein Entgegenkommen herausklingt, das zum Frieden führen kann. Die in Deutschland noch immer Geltung habende Phrase von der beabsichtigten Vernichtung durch die Entente ist hier widerlegt worden. Berliner Blätter sprechen verbrecherischer Weise, um die Wirkung dieser Mitteilung abzuschwächen, hämisch von einer Gesinnungsänderung des englischen Premiers. In Wirklichkeit war nirgends und niemals von einer Vernichtung oder Zerstückelung Deutschlands die Rede, ausser bei den unverantwortlichen Schreiern, von denen die Weststaaten auch einige Prachtexemplare besitzen.

Asquith deutet unzweideutig darauf hin, dass er nicht die Vernichtung Deutschlands erstrebt, sondern eine zwischenstaatliche Organisation, das sich mit jenem Europa deckt, das der Reichskanzler in seiner Rede vom 6. April als ein Europa der friedlichen Arbeit für alle Völker kennzeichnete, das hergestellt werden soll durch einen Friedensschluss, der den Keim «der endgültigen friedlichen Ordnung der europäischen Dinge in sich tragen soll».

Wenn die Dinge so stehen, worauf wartet man noch? Ist nicht jetzt der psychologische Augenblick gekommen, wo die Neutralen dazwischen fahren müssten, um dahin zu wirken, dass das begonnene Gespräch zwischen den beiden Staatsmännern fortgesetzt werde?