Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 5. Dezember.

Mittlerweile von der Buchdruckerei in Berlin (verspätet) eingegangene Briefe besagen, dass das Oberkommando in den Marken verlangt hat, dass sämtliche Manuskripte der «Friedens-Warte» zur Prüfung einzureichen sind. Das war am 28. November. Die Wirkung der Denunziation ist klar. Das Erscheinen der «Friedens-Warte» in Berlin dürfte fernerhin unmöglich sein.

Die sozialdemokratische Erklärung in der Reichstagssitzung vom 2. Dezember beginnt mit der Mitteilung, dass die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen über Belgien nicht ausreichen, «um von dem Standpunkt abzugehen, den der Herr Reichskanzler am 4. August gegenüber Luxemburg und Belgien eingenommen hat».

Dieser Standpunkt kam in den Worten zum Ausdruck: «Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt und vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. Das widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gut machen.»

Auffallend ist, dass der Reichskanzler in seiner Rede die Verletzung der Neutralität Luxemburgs gar nicht erwähnt.

Auch von dem österreichischen Ultimatum ist in seinen Ausführungen nicht die Rede, und doch will es mir scheinen, dass wenn dieses Ultimatum in dieser Form nicht erlassen worden, oder wenn die fast alles zugebende Antwort Serbiens zur Grundlage einer Verständigung genommen worden wäre, England gar nicht in die Lage gekommen wäre, Russland und Frankreich für den Fall eines Konfliktes seinen Beistand zuzusagen, was nach Meinung des Reichskanzlers die Kriegspartei in Russland gestärkt und den Krieg verursacht habe. Indem Deutschland Serbien an Österreich ausliefern wollte, hat es Russland eine Niederlage bereiten wollen, durch die wieder die ganze Tripelentente geschädigt worden wäre. Das war der Krieg.