Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 17. Juli.

Bethmann-Hollweg scheint nach der alldeutschen Seite gefallen zu sein. Der Jubel der annexionistischen Zeitungen lässt erkennen, dass sie den Abgang des Kanzlers als einen Sieg betrachten. Die Reichstagssitzung vom nächsten Donnerstag wird endlich Aufklärung bringen.

Es wird nun der endgültige Wortlaut jener Friedensresolution bekannt, die die Mehrheitsparteien im Reichstag einbringen werden. Sie enthält den Verzicht auf Annexionen und Entschädigungen. Der Hauptsatz lautet:

«Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. Mit einem solchen Frieden sind erzwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen unvereinbar.»

Das bedeutet doch klar und deutlich die Freigabe Belgiens und den Verzicht auf die heuchlerische Formel, wonach das nicht annektierte Belgien «wirtschaftlich, politisch und militärisch» in unsrer Hand bleiben müsse.

Alles wird davon abhängen, wie sich die neue Regierung zu dieser Mehrheitsresolution des Reichstags stellen, ob sie sie annehmen oder einfach zeigen wird, dass sie die Mehrheit des Reichstags nichts angehe.

Zwei schwere Fehler weist die Resolution auf.

Gleich zu Anfang: «Zur Verteidigung seiner Freiheit und Selbständigkeit, für die Unversehrtheit seines territorialen Besitzstands hat Deutschland die Waffen ergriffen.»

Es wäre besser gewesen, darüber zu schweigen. Nur zu klar ist es jedem Sehenden, dass Deutschland ausging auf Eroberungen in Europa und jenseits der Meere. Kein Mensch hatte den Besitzstand Deutschlands bedroht.

Der zweite Fehler liegt in der ganzen summarischen Erwähnung der Bereitschaft zur tatkräftigen Förderung internationaler Rechtsorganisationen.

Wer da weiß, wie bitter ernst es den Feinden mit der künftigen Ausgestaltung des zwischenstaatlichen Verhältnisses ist, wer da weiß, wie gering das Vertrauen dort ist, dass Deutschland ehrlich an dieser Ausgestaltung mitarbeiten werde, hätte gewünscht, hier ein fest umrissenes Programm angedeutet zu sehen. Die Worte «internationale Rechtsorganisation» sagen gar nichts. Das Gespenst der Vergangenheit, die alldeutsche und militärische Weltanschauung, verhindern, dass diesen Worten jener Glaube beigemessen wird, der notwendig ist, um zum Friedensschluss zu kommen.