Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Interlaken, 31. August.

Der Brief Sir Edward Greys hat durch die «Norddeutsche Allgemeine Zeitung» eine Erwiderung erhalten. Die Konversation wird also fortgesetzt. Leider wird zuviel über die Schuld am Kriege gesprochen, weniger oder nichts über die Möglichkeit seiner Beendigung. Das wäre jetzt das Wichtigere.

Wenig glücklich halte ich in dieser Antwort die neuerliche Begründung der Ablehnung des englischen Konferenzvorschlages. «Man könnte versucht sein», so führt die «N.A.Z.» aus, «es seiner (Greys) Naivität in militärischen Dingen zugute zu halten, wenn er wirklich angenommen hätte, dass die für die Sicherheit des Reiches verantwortlichen Stellen zusehen konnten, wie in wochenlangen Verhandlungen über die Einzelheiten des serbischen Problems verhandelt wurde, während sich gleichzeitig die Millionenheere Russlands an der deutschen Ostgrenze sammelten». Diese Antwort erledigt die Frage keineswegs. Der Vorschlag zur Konferenz wurde gemacht, ehe von einer russischen Mobilisierung die Rede war. Es ist klar, dass die Konferenz die Mobilisierungen verhindert hätte. Aber selbst wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte man die russische Mobilisierung mit der deutschen erwidern oder den Einhalt der russischen Mobilisierung mit der Drohung der Zurückziehung von der Konferenz bewirken können. Es hätte sich schliesslich gelohnt, den Versuch zu wagen, da doch so unendlich viel auf dem Spiel stand. Man denke wie viel Leben, wie viel Glück, wie viel Arbeit, wie viel Kultur bis jetzt vernichtet sind. Die Drohung, dass sonst ganz Deutschland heute einer Wüste gleichen würde, verfängt nicht in den Tagen, wo es gelungen ist, die Russen aus Ostpreussen und Galizien zu werfen. Die Quadratkilometer, die geschont wurden, sind nicht Alles, die Menschen, die bis jetzt geopfert wurden, bedeuten mehr. Man hätte die Konferenz versuchen müssen. Sie wäre gelungen. Wenn die von deutscher Seite angeführten Gründe stichhaltig wären, dann dürfte man nie mehr damit rechnen, auch nur den geringsten Konflikt friedlich beizulegen, da man ja immer befürchten könnte, dass der Gegner die Zeit benützt, Millionenheere zu sammeln. Es muss etwas Wille zum Frieden vorhanden sein.

Vollends verunglückt ist der Einwand, warum das von Grey herangezogene Beispiel der gelungenen Balkankonferenz für die im Juli 1914 geplante Konferenz ohne Geltung war. «Er verschweigt aber dabei, dass im Jahre 1912 Russland nicht zur Mobilisierung seiner gesamten Streitkräfte zu Lande und zu Wasser geschritten war, und dass die militärische Zuversicht Frankreichs und Russlands sowie die chauvinistischen Leidenschaften in beiden Ländern damals noch nicht den Höhepunkt erreicht hatten wie ... im Frühjahr vergangenen Jahres». Den Gradmesser chauvinistischer Leidenschaften mit der Kennzeichnung jenes Punktes, der den friedlichen Ausgleich unmöglich macht, erfunden zu haben, bleibt das Verdienst der «N.A.Z.». Ihre Erfindung ist einfach lächerlich. Politische und chauvinistische Leidenschaften waren immer da, und doch hat man nicht immer gleich Krieg geführt. Eine Konferenz jedoch ist gerade das sicherste Mittel, solche Leidenschaften auszuschalten und der besonnenen Überlegung die Entscheidung anheim zu geben. Dieser Einwand ist furchtbar traurig, er zeigt deutlich, mit welch geringer Einsicht und mit welcher Geringschätzung des Kriegs im Juli 1914 in Deutschland die Entscheidung getroffen wurde.

Vor der Geschichte werden diese Ausflüchte nicht standhalten.