Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 3. März.

Ein Dokument der deutschen Regierung ist in die Hände der Regierung von Washington gelangt und wird soeben veröffentlicht. Es ist Berlin, den 19. Januar 1917 datiert, rührt vom Berliner Auswärtigen Amt her, ist Zimmermann gezeichnet und an den deutschen Gesandten von Mexiko gerichtet. Das denkwürdige Schriftstück lautet:

«Wir beabsichtigen, am 1. Februar den uneingeschränkten Unterseebootkrieg zu beginnen. Trotzdem wünschen wir, dass die Vereinigten Staaten neutral bleiben. Wenn uns dies nicht gelingt, schlagen wir Mexiko ein Bündnis auf folgender Grundlage vor:

Wir werden gemeinsam Krieg führen und Frieden schliessen. Wir werden Mexiko finanzielle Hilfe leisten, und es ist abgemacht, dass Mexiko die verlorenen Gebiete von Neu-Mexiko, Texas und Arizona zurückerhält. Die Einzelheiten der Regelung dieses Bündnisses werden Ihrer Initiative überlassen.

Sie werden den Präsidenten von Mexiko von dem vorliegenden Vorschlag also bald zu unterrichten haben, als Sie von der Kriegserklärung mit den Vereinigten Staaten gewiss sind. Sie werden den Präsidenten von Mexiko dazu überreden, von sich aus mit Japan zu unterhandeln; dass er dieser Nation die unverzügliche Annahme unsres Plans vorschlägt. Sie werden gleichzeitig Mexiko anbieten, als Vermittlerin zwischen Deutschland und Japan zu handeln. Wollen Sie die Aufmerksamkeit des Präsidenten von Mexiko auf die uneingeschränkte Anwendung der Unterseeboote richten, die England in einigen Monaten zwingen wird, den Frieden zu unterzeichnen.»

Dass dieses Dokument echt ist, wird in einem Wolff-Telegramm aus Berlin heute zugegeben. Darin heisst es, dass es in Voraussicht der Möglichkeit eines Kriegs der Vereinigten Staaten gegen Deutschland «nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht der Reichsleitung» war, rechtzeitig Vorsorge zu treffen.

Es wird natürlich in Deutschland sehr viele Leute geben, die dieser Ansicht bedingungslos zustimmen und das Bedauerliche nur darin erblicken werden, dass dieses Manöver verraten wurde. Ich bin der Ansicht, dass jene Manipulation der deutschen Diplomatie mindestens mit der gleichen sittlichen Entrüstung abgelehnt werden muss, mit der man auf deutscher Seite ähnliche Manipulationen der Entente in Italien und Rumänien überschüttete. Der Fall liegt aber hier doch noch schlimmer. Man muss wissen, was die Ermutigung Japans, und besonders Mexikos, zum Krieg für die Vereinigten Staaten bedeutet. Man muss zunächst wissen, wie sehr man in den Vereinigten Staaten sich der aus Japan drohenden Gefahr bewusst war, und welche Anstrengungen dort gemacht wurden, den Konflikt auf friedlichem Weg zu überwinden. Auch muss man wissen, welche Bemühungen Präsident Wilson drei Jahre hindurch gemacht hat, den sehr ernsten mexikanischen Konflikt, der in Europa schon längst zu einem Krieg geführt hätte, auf friedlichem Weg, im Geist moderner Friedenstechnik, und vor allen Dingen im Sinn des auf pazifistischer Grundlage errichteten Pan-Amerikanismus zu überwinden, und wie seine Bemühungen auch von Erfolg gekrönt waren. Überhaupt dürfte in Deutschland Wenigen klar sein, wie dieser Versuch, das seit mehr als einem Jahrhundert ausgebaute System der panamerikanischen zwischenstaatlichen Organisation zu durchstoßen, in Amerika jetzt gerade empfunden werden wird, wo der Pan-Amerikanismus Folge des europäischen Kriegs eine so ausserordentliche Festigung und Ausdehnung erreicht hat.

Aber von all diesen Dingen weiß man in Deutschland so gut wie gar nichts, gab sich die deutsche Diplomatie keine Rechenschaft. Man merkt an diesem bedauerlichen Schritt, wie sehr sie von jener skrupellosen Schicht beeinflusst wird, die die Staatskunst nur vom Gesichtspunkt des Augenblicks betrachtet und alle Handlungen nur von der Tragweite der Kanone aus beurteilt. Für die Angehörigen dieser Schicht erschien der verschärfte Unterseebootkrieg als ein kluges, wirksames und den Krieg abkürzendes Mittel. Eben nur weil sie nicht für nötig erachten, über das Heute hinweg zu denken. Der Konflikt mit Amerika erschien ihnen nur deshalb gefahrlos, weil sie die amerikanischen Kanonen auf dem europäischen Kriegsschauplatz nicht glaubten fürchten zu müssen. Da ihnen eine strategische Verstärkung der Gegner durch ein Dazwischentreten Amerikas ausgeschlossen erscheint, erblickten sie jede weitere Gefahr durch die Hoffnung gebannt, den neu zu erwartenden Feind durch Mexiko und Japan derart zu beunruhigen und zu überwinden, dass sie sich bereits in der Lage sahen, Mexiko mit amerikanischen Staaten zu entschädigen.

Daran haben diese Leute nicht gedacht, dass ihr Plan, der durch alle amerikanischen Republiken eine höllische Erregung gegen das deutsche Volk entfachen muss, Amerika für das Deutschtum als verloren erscheinen lässt. Nicht bloss die grossen wirtschaftlichen Quellen, die nach dem Krieg für den deutschen Handel zur Wiederaufraffung unentbehrlich gewesen wären, wurden dadurch verstopft. Deutschland hat nicht nur seine ergiebigste Kolonie, es hat, was noch mehr bedeutet, seinen alteingewurzelten, so mächtiger Kultureinfluss in den Vereinigten Staaten, und wohl auch in Südamerika, für immer verloren. Diese, nur mit Kanonen, nur mit Machtformeln denkenden Gewaltpolitiker, die das deutsche Volk reicher und grösser machen wollen, haben durch die folgerichtige Betätigung ihrer politischen Ideen dem deutschen Volk im Mutterland und Millionen Deutschen in Amerika die grösste moralische und wirtschaftliche Schädigung bereitet. Sie haben die neue Welt, in der deutsche Arbeit und deutsche Intelligenz so grosse Erfolge erzielten, so grosse Anerkennung erwarben, mühelos den Engländern in die Arme getrieben.

Diese «Voraussicht der Reichsleitung» zeugt jedenfalls von keiner Weitsicht; sie ist beeinflusst von macchiavellistischen Gedankengängen, die für unser Zeitalter schon längst als verhängnisvoller Irrtum erkannt waren, im Verlauf dieses Kriegs sich aber auch den Beschränktesten als Irrtümer hätten aufdrängen müssen.

Ich habe die am 1. Februar veröffentlichte Antwortnote Deutschlands auf die grosszügige Wilsonbotschaft vom 22. Januar in ihrer kühlen Phrasenhaftigkeit gekennzeichnet. Was ich damals nur empfunden hatte, bestätigt die Tatsache, dass jene Note veröffentlicht wurde, nachdem der mexikanisch-japanische Plan bereits geschmiedet war.

Wann wird man das Bedauerliche einer solchen Politik in Deutschland erkennen? — Diejenigen, die heute jene Politik beeinflussen, denen der Tag alles gilt, denen für das Morgen die Maxime «Nach uns die Sintflut» zur Richtschnur geworden ist, werden dies niemals vermögen. Sie werden höllisch froh sein, sich diesen gefährlichen Pazifisten Wilson, diesen pazifistisch verseuchten Staat vom Leibe geschafft zu haben. Jetzt zählt eben uneingeschränkt ihr Universalmittel, die Kanone.