Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Spiez, 30. August.

Der Reichskanzler, der im Hauptausschuss des Reichstags erklärte, dass er zur endgültigen Demokratisierung des Reichs während des Kriegs keine Zeit habe, hat Zeit gefunden, eine «Informationsreise» nach Belgien anzutreten. Dort hat er den «Rat von Flandern» in Audienz empfangen. Wahrscheinlich galt diese Reise dem Zweck, die Belgier schonend auf den durch den Reichstagsbeschluss vom 19. Juli notwendig werdenden Verzicht auf ihre Annektierung vorzubereiten.

Die Regierung scheint sich mittlerweile zur Demokratie zu bekehren. Wenigstens wenn man ihrem Organ, der «Norddeutschen Allgemeinen Zeitung» (B. T. 19. August) trauen darf. In einer Erwiderung auf Kerenskis Rede wird auf neu erwachende Eroberungsgelüste der gegenwärtigen russischen Machthaber hingewiesen, und da heißt es:

«Das russische Volk wird darüber zu entscheiden haben, ob diese Politik des Herrn Kerenski dem Wohl des Landes, ob sie dem Willen des Volks entspricht. Das russische Volk wird sich gegenüber der Rede Kerenskis fragen, welche Pläne seine gegenwärtige Regierung hat, um den ersehnten Frieden herbeizuführen.»

Wer so ängstlich darauf bedacht ist, dass der Wille des russischen Volks respektiert wird, kann den Volkswillen in Deutschland nicht länger unterdrücken wollen.