Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 25. März.

Die russischen und die amerikanischen Ereignisse erregen jetzt das gesamte Interesse. Die offiziellen Nachrichten aus Russland klingen hoffnungsvoll und vertrauenerweckend. Danach stünde der Sieg der Revolution fest. Nun soll ja auch der heilige Synod die Revolution gesegnet und als den Willen Gottes bezeichnet haben. Die Revolution von Gottes Gnaden also, wie gestern ein Bekannter bemerkte. Der Großfürst Nikolai Nikolajewitsch soll sich dem neuen Regime angeschlossen haben und aus allen Teilen des Reichs, auch aus Sibirien und Turkestan, kommen Zustimmungen. Der Zar und die Zarin sitzen verhaftet, streng bewacht und voneinander getrennt in Zarskoje Selo. Man scheint, sie als Geiseln zu betrachten. Eine grosse Anzahl früherer Würdenträger füllt die Gefängnisse, aus denen die politischen Gefangenen des Zarismus befreit wurden. Ein Hauch der Freiheit geht durch das mächtige Reich, in dem es keine geknechteten Nationalitäten, Klassen, Konfessionen mehr gibt. Moralisch gestärkt wird die Revolution durch ihre Anerkennung seitens der verbündeten Mächte, durch England, Frankreich und vor allem durch die Vereinigten Staaten Amerikas.

Aber trotz alledem, die richtige Freude über diesen beglückenden Umschwung der Dinge, der für die ganze Menschheit von Heil sein könnte, über den man mit Theodor Körner jubeln möchte: «Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht» , die richtige Freude vermag nicht aufzukommen aus Angst vor einer Rückbewegung, aus Angst vor dem Aufflammen der terroristischen Kräfte, die die Gegenrevolution herbeiführen müssten. Vielleicht ist diese Angst übertrieben, in keinem Fall ist sie unbegründet. In der deutschen Presse wird in Anlehnung an die französischen Ereignisse von 1870 das Aufflammen der Kommune und der endliche Sieg des Heeres über die Revolution als sicher angenommen. Es ist ein Jammer, dass das deutsche Volk, für das die Befreiung Russlands stets ein leuchtendes Ideal gewesen, jetzt, durch den Gang der Ereignisse gezwungen, die Wiederherstellung des Zarenregiments ersehnen soll. Ich hoffe nur, dass sich die Stimmung des Volks unterscheidet von der Aufmachung in der Presse, dass auch in Deutschland die freien und guten Elemente im Innern jubeln über den Umschwung der Dinge in Russland und darin die zwingende Grundlage zur eigenen Befreiung erkennen werden. Auch das preußische Junkertum ist von der Duma gebrochen worden. «Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht».

Und Amerika? — Wenn man nur einen Einblick gewönne in die dortigen Vorgänge, in die Erregung des öffentlichen Lebens der Union. Was wir vernehmen, sind nur die kriegsmäßig zugestutzten Telegramme der kriegführenden Länder. Danach scheint der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg unmittelbar bevorzustehen. Zu Wasser und zu Land will die Union sich an dem europäischen Krieg beteiligen. Es werden schauerliche Zahlen genannt, es wird von unerhörten Rüstungen und Vorbereitungen gesprochen, die vor allen Dingen eine gewaltige, neue Verlängerung des endlosen Kriegs bedeuten würden.

Und all das soll gleichgültig, soll von den Fanatikern des unbeschränkten Unterseebootkriegs kühl in Rechnung gezogen worden sein mit dem totsichern Ergebnis, dass uns das gar nicht berühre, dass wir mit den Unterseebooten dem beschleunigten und sichern Sieg entgegengehen? — Es ist Zeit, alle, die solche Gedanken äußern, als verbrecherische Narren zu bezeichnen. Der Eintritt Amerikas in den Krieg ist nicht gleichgültig, der Sieg wird selbst dem glimpflichsten Kompromiss entschwinden. Gegen eine vereinte Welt kann man nicht siegen. Vernunft muss jetzt über blöden Stolz die Oberhand gewinnen. Es ist ja auch keine Schande, vor einer Übermacht zurückzuweichen, nur müsste es geschehen, ehe es zu spät ist, solange mit dem Zurückweichen noch ein Vorteil erlangt werden kann. Die blöde Phrase «Es gibt kein Zurück» hat keine Berechtigung mehr in den Tagen, wo der strategische Rückzug im Westen als ein Meisterstück der Kriegskunst gepriesen wird. Es muss auch für die Staatskunst die Möglichkeit eines siegreichen Rückzugs gegeben sein. Einem politischen Dogma zuliebe darf man ein Volk nicht hinopfern.

Er ist wahrhaftig nicht gleichgültig, dieser Krieg mit Amerika. Schon um der Weltsolidarität willen nicht, die sich jetzt unter dem Banner der Freiheit, der Demokratie, des siegenden Pazifismus gegen Deutschland und seine Bundesgenossen bildet. Warum gegen uns? Das deutsche Volk, die Völker Österreich-Ungarns wären wahrhaftig ebenso reif für Demokratie und Friedenssicherheit, wie die andern Völker, wie Russland, wenn sie nicht künstlich im Bann veralteter Ideen gehalten werden würden. Wenn die Fesseln dieser Ideen gesprengt werden könnten, hätten wir morgen den Frieden, die Friedenssicherheit, eine neue Welt!

Er ist nicht gleichgültig von dem Gesichtspunkt aus, dass der Krieg jetzt auch auf den einzigen bis jetzt freigebliebenen Erdteil hinübergreift und damit der Brand in allen fünf Erdteilen lodert. Ein Umfang, den sich die Pygmäen im Juli 1914 wohl nicht vorgestellt hatten, sonst wäre ihnen das Streichholz, das sie frevelhaft anrieben, vorher aus den täppischen Händen gefallen.

Er ist nicht gleichgültig von dem Gesichtspunkt aus, dass nun auch jene demokratischste Menschenorganisation von den rohen militärischen Instinkten durchzuckt wird, was nicht ohne Nachwirkung bleiben kann, wenn selbst die Führer des Kriegs ihn für den Frieden und die Sicherheit der freien Demokratie führen, wie Elihu Root vorgestern in New-York gesagt hat. Es besteht die Gefahr, dass die einmal erweckten militärischen Geister so bald nicht mehr los zu bekommen sein werden.

Es ist richtig!