Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 7. März.

Ober den Wert des Friedens mit Großrußland scheint man sich selbst in Deutschland keine großen Illusionen zu machen. Der vom Wiener Korrespondenzbureau geschilderte Vorgang der Verhandlungen lässt erkennen, wie die Russen den Vertrag auffassen. Danach erklärte der Vorsitzende der russischen Delegation, «dass das deutsche Ultimatum die russische Republik im Stadium der Demobilisierung getroffen habe, weshalb sie gezwungen war, dieses anzunehmen und den ihr nunmehr vorgelegten Friedensvertrag zu unterzeichnen. Dieser Friede sei kein Verständigungsfriede... Das durch den Bruch des Waffenstillstandes vergewaltigte Russland unterzeichnet den ihm vorgelegten Friedensvertrag, ohne in Verhandlungen hierüber einzutreten.»

Was für Friedenszustand kann aus einem unter solchen Umständen zustandegekommenen Vertrag erblühen? Wie man in den heute maßgebenden alldeutschen Kreisen in Berlin die Sache einschätzt, geht aus einem Telegramm des Berliner Pfeil-Korrespondenten der «Neuen Zürcher Zeitung» (6. März) hervor. Der berichtet:

«Auf kritische Zweifel an der Dauer des russischen Friedens wird hier erwidert Zunächst habe Russland kein Kriegsmaterial mehr (abgesehen von inneren Schwierigkeiten), um in absehbarer Zeit wieder in nennenswerter Weise kämpfen zu können, und für den wirtschaftlichen Austausch genügt vorläufig die friedenswillige Ukraine. Dem gegenüber könne das übrige als spätere Sorge verbleiben. »

Dieser Satz spiegelt das militärische Denken in Reinkultur. Das Übrige ist spätere Sorge! Die Dauer des Friedens ist begrenzt durch die Beschaffung von Kriegs-material. So sieht also der Dauerfriede der heutigen Leiter der deutschen Politik aus! Ein Friede, dauernd bis zur Wiederherstellung der russischen Rüstung. Also ein Friede mit Vorbeugung durch eigene Rüstung, durch übertrumpfen der neuen Versuche Russlands, zu einer neuen Rüstung zu gelangen. Kurz: der alte Rüste- und Friedensfrieden, verstärkt und zum Wahnsinn potenziert durch die Erfahrungen dieses Kriegs und durch die Gewöhnung an die Milliardenverschwendung. Ein Waffenstillstand also mit Ablehnung jeder «spätem Sorge». So sieht der deutsche Verständigungsfrieden aus! Und auf diesem Weg schreitet man lustig weiter.

Auch Rumänien bekommt nun die Grundsähe deutscher Verständigungspolitik zu fühlen. Bulgarien, das so schön in seiner Antwort auf die Papstnote das Lied vom annexionslosen Frieden gesäuselt hat, nimmt die Dobrudscha, und Österreich-Ungarn verlangt «Grenzkorrekturen». Natürlich besteht der Einwand zu Recht, dass man mit Rumänien kein Mitleid zu haben braucht. Als Sieger hätte es Siebenbürgen und die Bukowina gewollt. Als Sieger hat es 1913 den wehrlosen Bulgaren die südliche Dobrudscha abgelistet. So ist die jetzige Niederlage und Demütigung nur Wiedervergeltung. Das aber ist eben das Wesen des Kriegs, dass Verbrechen begangen werden, die nach Rache schreien, und dass die Ergebnisse des Schwertes vom Zufall abhängen. Man hat auf deutscher Seite gut triumphieren, dass das Schwert, das deutsche Schwert, die Erfolge im Osten zuwege gebracht hat. Es ist das doch ein unzuverlässiges Instrument, wenn man bedenkt, dass auch die russischen Machthaber sich auf die Gewaltihres Schwertes verlassen haben. Das Schwert bringt nicht nur Siege, sondern auch den Zusammenbruch. Und derjenige ist nichts weiter als ein leichtfertiger Lotteriespieler, der das Geschick eines Volkes dem Schwert anvertraut. Wer sich vom Erfolg nicht blenden lässt und auch die Schrecken der Niederlage ins Auge zu fassen vermag, der wird sich lossagen müssen vom reinen Schwertkultus und für die Herstellung einer auf Recht beruhenden Weltordnung eintreten.

Die Schadenfreude gegenüber Rumänien, so berechtigt sie auch erscheinen mag, ist doch nichts weiter als eine gefährliche Verschleierung der Tatsachen, daß hier Gewalt geübt wird, die die Gewaltanwendung verewigt, daß sie Rachegefühle und schließlich wieder Krieg bringen muss. So sehr Rumänien sein Schicksal verdient hat, Europa, das endlich Ruhe haben will und Erlösung aus dem blutigen Fiebertraum des Militarismus, hätte ein besseres verdient.