Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

11. April (Lugano) 1915.

Die Frühlingssonne zeitigt viel Friedensgerede in den Zeitungen. Nicht dass einer wagte, offen den Wunsch danach vorzubringen. Das erlaubt die Zensur nicht. Es geschieht stets nur mit einer Gebärde der Verachtung, als gäbe es nichts Schöneres als diesen Krieg und nichts Wonnigeres als diesen Zustand. Dies ist so auf allen Seiten. Man hat sich zu Anfang derart hohe Ziele gesteckt, dass man glaubt, erst dann vom Frieden reden zu dürfen, wenn man diesen Zielen nah ist. Das ist aber nirgends der Fall. So traut man sich an eine Beendigung des Gemetzels gar nicht zu denken. Erst bis man sich allmählich mit dem Gedanken vertraut gemacht haben wird, dass man zu einem Kompromiss sich wird bequemen müssen, wird man an den Friedensschluss herangehen können. Vorläufig hat man den Freund des Präsidenten Wilson, Kapitän Howard, der die europäischen Mächte zu sondieren ausgesandt war, in Berlin mit einer Ablehnung ziehen lassen. Dieses Schicksal wird ihm noch anderweitig zuteil werden. Dabei schwirren alle möglichen Gerüchte über einen Separatfrieden durch die Luft, den Österreich-Ungarn mit Russland abzuschliessen bereit wäre. Die Lage Österreichs ist wohl die ungünstigste von allen Kriegführenden, und der wochenlange Kampf an der Karpathenmauer scheint diese nicht zu bessern; aber ein Separatfrieden der Donaumonarchie wäre eine solche Schwächung Deutschlands, dass man wohl annehmen muss, dass Deutschland alle Kräfte einsetzen wird, um diese Möglichkeit zu verhindern.

In Deutschland wächst die Erregung gegen die Waffenlieferungen Amerikas. Bald wird es heissen das «perfide Amerika». Mit dem Hass und mit dem Fluch ist die überhitzte öffentliche Meinung leicht bei der Hand. Sie hat so gar keine Vorstellung von der Vielgestaltigkeit und Kompliziertheit eines andern Volkes, dass die Handlungen eines Bruchteiles kurz der Gesamtheit zur Last gelegt werden. Als ob es in Amerika sonst nichts gäbe, als das halbe Dutzend Waffenfabriken. Wenn jemand Amerika bedauern würde wegen der dort herrschenden nächtlichen Finsternis oder wegen des Regens, so würde man den Betreffenden mit Recht für verrückt erklären, weil er zu unterschlagen versucht, dass nach der Nacht dort auch regelmässig die Sonne scheint, und der Regen nicht überall fällt, ausserdem auch gutem Wetter Platz macht. Aber in politischer Beziehung gilt es noch immer für berechtigt, irgend einen unangenehmen Ausnahmefall für ein Millionenvolk zu verallgemeinern. Dieser Sünde wider den Verstand machen sich alle Völker schuldig.

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