Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Bern, 21. Juni.

Es ist heute der vierte Todestag Bertha von Suttners! Die Vorgänge, die in den Weltkrieg führten, beginnen damit ihre vierte Jährung. Bertha von Suttners Urne ist noch immer nicht beigesetzt. Es soll erst geschehen, bis das Morden beendigt ist.

Die Friedensschlüsse von Brest-Litowsk und Bukarest zeigen sich heute schon in ihrer Durchsetzung mit Kriegskeimen. Die offizielle Auslegung des Charakters jener Friedensschlüsse beseitigt ja deren gewalttätigen und annexionistischen Charakter. So Hertling im März, als er erklärte, der Friede von Brest-Litowsk enthalte «keine gewaltsame Aneignung russischen Gebiets» (Tagebuch 19. III. 18) und Graf Burian, als er die Eroberungen in Rumänien nur als ehrsam erworbene Vorhängeschlösser bezeichnete. Aber, das es ein Gewaltfrieden war, kann man im Reagenzglas der politischen Chemie deutlich erkennen. Der kriegerische Landerwerb zerklüftet bereits, mitten im Krieg, die Bundesgenossen. Österreich-Ungarn und Deutschland kämpfen um Polen, Bulgarien kämpft mit Deutschland um die Norddobrudscha und mit der Türkei um die Maritzagegend, Dedeagatsch, Kavalla usw. Die Türkei ist darob und wegen anderer Gebiete mit Deutschland in Spannung. Kurz; was wir immer gesagt haben: Jeder Friede mit Länderraub trägt den Keim für künftige Kriege in sich, erzeugt Spannungen, die die Völker nicht zur Ruhe kommen lassen. Es bebt und gärt schon, ehe der Krieg abgeschlossen. Wie soll es später werden?