Das Kriegstagebuch des Alfred H. Fried

Lugano, 22. April.

Einige kleine Ereignisse erfreulicher Art:

Das Münchener Hoftheater veranstaltete einen Molière-Abend. «Ohne Entschuldigung» wie es in dem Bericht darüber heisst. — Der XXV. Jahrgang von Niemeyers trefflicher «Zeitschrift für internationales Recht» beginnt mit einem Artikel des Cambridger Gelehrten L. Oppenheim, jenes Oppenheim, dem Professor Kohler gleich nach Kriegsbeginn als Mitherausgeber seiner «Zeitschrift für Völkerrecht» den Laufpass gab, weil ein Engländer nichts mehr in einer deutschen Zeitschrift zu suchen habe. — Das Aprilheft des «Weltwirtschaftlichen Archivs» ist erschienen und zeigt in seinen 400 Seiten den rüstigen — wenn auch beunruhigten — Fortgang der Weltwirtschaft, somit der internationalen Kooperation und der Wissenschaft des Internationalismus.

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Die Verluste in der vierwöchigen Karpathenschlacht werden für die Russen, die wahnsinnig mit den Menschen umgegangen sein sollen, mit 300,000, für die Deutschen und Österreicher mit «kaum ein Drittel», also mit 100,000 angegeben. Aus diesem Gesamtverlust kann man (20 %) auf 80,000 Tote, 120,000 Gefangene und 200,000 Verwundete rechnen, von denen wieder 40,000 Verkrüppelte bleiben. Eine nette Rechnung. Und ohne irgend welchen Erfolg. Hat man sich den Krieg so vorgestellt?

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Über die Ausdehnung der Kriegsdienstpflicht in Österreich-Ungarn bis zum 50. Lebensjahr haben die Wiener Blätter mit Ausnahme der «Neuen Freien Presse» kein Wort des Kommentars gebracht. Wahrscheinlich im Hinblick auf die Zensur, die eine Kritik nicht zugelassen hätte. Der Kommentar der «Neuen Freien Presse» war denn auch eine Zustimmung. Man sollte es nicht für möglich halten. Sie führt aus, dass diese Massnahme zur Abwendung der Not unerlässlich sei. Ja, ist denn das Mittel, das da gegen die Not angewendet wird, nicht auch eine Not? — Und was für grosse Not! Dann spricht das Blatt davon, diese Massnahme müsse dem Gegner beweisen, «dass die Vorräte (!) an lebendigen Kriegsmitteln (!) noch lange nicht erschöpft sind.» — «Vorräte», «lebendige Kriegsmittel», «erschöpft», als ob es sich um Kattun oder Häringe handelte. Und wie mag man das den Feinden beweisen, wenn man durch die Bereitstellung der 50jährigen doch zugibt, dass die regulären «Vorräte» sichtlich schon erschöpft wurden? — Der Beweis der Entschlossenheit zum «Durchhalten» begründet hier keineswegs auch die Möglichkeit. —